Gottfried Locher, Alfred Heer, Abbas Poya, Lilo Roost Vischer, Urban Federer (von links) © Foto: APD Schweiz

Podiumsgespräch zu Fragen des religiösen Pluralismus in der Schweiz

Luzern/Schweiz | 02.03.2016 | APD | Schweiz

Am Podiumsgespräch zu Fragen des religiösen Pluralismus in der Schweiz, sagte Nationalrat Alfred Heer (SVP/Zürich), er sei gegen die Burka-Initiative. Der Staat sei nicht für Kleidervorschriften zuständig. Am Podium wurde über die Potenziale diskutiert, welche Religionen in einer säkularen Gesellschaft entfalten und welches die Chancen und Herausforderungen des interreligiösen Dialogs sind. Das Gespräch wurde am 1. März vom Ökumenischen Institut und der Professur für Dogmatik der Universität Luzern organisiert. Es diskutierten unter der Leitung von Gabriela Amgarten, Abt Urban Federer, Einsiedeln; Nationalrat Alfred Heer, Zürich; Dr. Gottfried Locher, Bern; Prof. Dr. Abbas Poya, Zürich; Dr. Lilo Roost Vischer, Basel

Auf die Frage, weshalb es in der Schweiz vorwiegend Probleme mit dem Islam, aber nicht mit Buddhismus oder Hinduismus gebe, sagte Gottfried Locher, Präsident des Evangelischen Kirchenbundes der Schweiz, das habe auch mit Zahlen zu tun. Der Islam entwickle sich am schnellsten in einem Umfeld, das diese Religion nicht wirklich gekannt habe. Dann mache auch der Krieg im Nahen Osten Angst.

Burka-Initiative: Der Staat ist nicht für Kleidervorschriften zuständig
Nationalrat Alfred Heer, Parteipräsident der SVP im Kanton Zürich, hielt fest, dass er gegen die Burka-Initiative sei, weil seines Erachtens der Staat nicht für Kleidervorschriften zuständig sei. Die Burka sei kein Problem und die Lancierung dieser Initiative sei ihm unverständlich, so Heer.

Konkrete und diffuse Ängste
Es sei die grosse Anzahl muslimischer Flüchtlinge, welche gegenwärtig Ängste in der Bevölkerung hervorriefen, sagte Abbas Poya, Gastprofessor für Islamische Theologie und Bildung am Asien-Orient-Institut der Uni Zürich. Zudem kämen den Schweizern muslimische Gewohnheiten und Lebenspraktiken, wie Frauen mit Kopftuch oder die Tatsache, dass die meisten Muslime keinen Alkohol trinken und kein Schweinefleisch essen würden, fremd vor. Hinzu komme, dass es Personen gäbe, die mit solchen Ängsten politische „Geschäfte“ machten. Auch die Muslime müssten Schritte machen und sich zu demokratischen, liberalen Spielregeln bekennen. Pluralismus habe einen Preis. Theologisch-religiöser Pluralismus bedeute die Anerkennung der anderen Religionen, sagte Poya.

Die Ängste in der Bevölkerung in Bezug auf den Islam seien recht konkret, meinte Alfred Heer, speziell nach den Terroranschlägen in Paris. Es kämen aber auch diffuse Ängste hinzu, ergänzte Locher. Um die Ängste abbauen zu können, müsse man definieren, was man unter Vielfalt verstehe und sich klare Spielregeln geben. Vor allem dürfe man Probleme nicht „religionisieren“, wie dies oft gemacht werde, so Lilo Roost Vischer, Koordinatorin für Religionsfragen in der Fachstelle Diversität und Integration des Kantons Basel-Stadt. Man müsse auf der Sachebene bleiben.

Spielregeln zur Integration
Die neu Zugewanderten sollen sich „technisch“ integrieren, indem sie die Sprache erlernten oder Kenntnisse über politische Abläufe aneignen würden, sagte Gottfried Locher. Sie müssten aber auch die hier gültigen Spielregeln und den Wertekanon übernehmen und zwar unabhängig von der eigenen Religion. Dies betreffe zum Beispiel den Minderheitenschutz oder die Gleichberechtigung von Mann und Frau.

Interreligiöser Dialog
Die Gesprächsteilnehmer waren sich einig, dass das gegenseitige Kennenlernen im interreligiösen Dialog entscheidend sei, weil damit Beziehungen zwischen Menschen entstünden. Es handle sich dabei um eine zivilgesellschaftliche Diskussion und nicht um eine staatliche. Dafür brauche es eine Bereitschaft, differenziert zu denken, das schwarz-weiss Denken aufzubrechen und die Integration zu fördern. „Wenn sich nicht mehr Leute am interreligiösen Dialog beteiligen, wird es schwierig“, sagte Abt Urban Federer. Einheimische hätten oft Ängste, die nicht abgebaut werden könnten, solange sie sich dem Dialog nicht aussetzen wollten, ergänzte Lilo Roost Vischer.

Anerkennung des Islam
Vischer erwähnte, dass sich 70 Prozent der Bevölkerung des Kantons Basel-Stadt als „konfessionslos“ bezeichne. Ein Grossteil von ihnen verstehe sich aber weiterhin als Christen. Das seien die sogenannten „Oster-Weihnachts-Christen“. Die konfessionelle Bindung habe zwar abgenommen, Religion bleibe aber weiterhin ein Bauch- und Sachthema, so Vischer. Er sehe auch eine Distanzierung zur religiösen institutionellen Bindung, so Locher, eine Loslösung von religiösem Bewusstsein sei aber nicht zu erkennen.

Die Landeskirchen hätten Privilegien, wie die Kirchensteuer, verlören aber immer mehr Mitglieder, so Moderatorin, Gabriela Amgarten. Sie fragte, ob es nicht an der Zeit wäre, auch anderen, wachsenden religiösen Gemeinschaften den Zugang zu solchen Privilegien zu geben oder sie staatlich zu anerkennen.

In der Schweiz seien es die Kantone, welche die Anerkennung religiöser Gemeinschaften regelten, so Alfred Heer. Voraussetzungen seien unter anderem demokratische Verfassungen und die Gleichberechtigung in diesen Gemeinschaften. Dies könnten weder die orthodoxen Juden noch die Muslime leisten.

Die grossen Kirchen hätten während Jahrhunderten in einer Monopolsituation gelebt und viel Geld gehabt, sagte Gottfried Locher. Geld mache aber auch träge. Er sei dafür, dass mehr religiöse Gemeinschaften anerkannt würden, dafür brauche es aber klare Kriterien: Demokratische Verfassung, Minderheitenschutz, Gleichberechtigung, finanzielle Transparenz.

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