Prof. Dr. Fabrice Balanche, Professor und Forschungsleiter an der Université Lyon 2 © Foto: csi

Religiöser Pluralismus im Nahen Osten von dschihadistischen Gruppen bedroht

Zürich/Schweiz | 16.03.2016 | APD | International

In weiten Teilen Syriens gebe es keine schiitischen Muslime, Christen, Alawiten und Drusen mehr. Ein Ende dieser Entwicklung sei nicht in Sicht, sagte Fabrice Balanche, französischer Syrien-Experte, am 14. März an einer Veranstaltung von Christian Solidarity International CSI in Zürich.

Laut einer CSI-Medienmitteilung sagte Professor Fabrice Balanche am CSI-Anlass in Zürich: „Ich bin sehr pessimistisch, was den religiösen Pluralismus im Nahen Osten betrifft". Dieser werde von dschihadistischen Gruppen bedroht. Balanche ist Professor und Forschungsleiter an der Université Lyon 2 sowie Gastwissenschaftler am Washington Institute for Near East Policy. Er lebte zehn Jahre in Syrien und im Libanon.

Weite Gebiete Syriens religiös gesäubert
Religiöse Minderheiten seien nach Balanche die ersten Opfer im Konflikt. „In den Gebieten, die vom sogenannten Islamischen Staat oder der Jabhat al-Nusra [Al-Nusra-Front, dschihadistisch-salafistische Organisation] kontrolliert werden, leben keine Christen und Schiiten mehr", sagte Fabrice Balanche. Es gebe noch eine kleine drusische Minderheit, die aber zum sunnitischen Islam konvertieren musste. Bereits hätten 40 Prozent der syrischen Christen das Land verlassen, während sich Alawiten in die westlichen und Drusen in südliche Gebiete des Landes zurückzögen, in denen sie die Mehrheit stellten. Religiöse Minderheiten seien nun in Gebieten konzentriert, die von der Regierung kontrolliert würden und in denen auch viele sunnitische Flüchtlinge Zuflucht gefunden hätten, sagte der Syrien-Experte.

"Der religiöse Pluralismus wurde in autoritären Staaten aufrechterhalten, die Minderheiten schützten." Es seien dies Staaten, deren Führer selbst religiösen Minderheiten angehörten. Balanche betonte, dass die religiösen Minderheiten aufgrund ähnlicher Beispiele in der Vergangenheit fürchteten, „ausgeschlossen oder vernichtet" zu werden, wenn ihr Schicksal in den Händen einer religiös polarisierten sunnitischen Mehrheit läge. Laut Wikipedia gehört Baschar al-Assad, Staatspräsident Syriens, sowie weite Teile der syrischen Elite, der Religionsgemeinschaft der Alawiten an.

"Arabischer Frühling" von Anfang an auch ein Kampf gegen Minderheiten
Zwar hätten sozioökonomische Faktoren zum Gewaltausbruch in Syrien und im Irak beigetragen, doch spiele der Konfessionalismus eine weit wichtigere Rolle, so der Syrien-Experte. Für die Führungselite der sunnitischen Dschihadisten und weiterer Rebellengruppen sei der Wunsch, die verlorene sunnitische Vorherrschaft wiederherzustellen, viel bedeutender als sozioökonomische Missstände.

Bereits in der Anfangsphase des sogenannten „Arabischen Frühlings" 2011 sei die konfessionelle Prägung des Konflikts deutlich sichtbar gewesen, sagte Balanche, der Augenzeuge der Ereignisse war. Anti-Assad-Demonstrationen hätten vorwiegend in sunnitisch-muslimischen Gebieten stattgefunden und die Parolen hätten sich gleichzeitig auch gegen die Minderheiten gerichtet. Es sei deshalb nicht erstaunlich, dass die syrischen Alawiten, Christen und anderen religiösen Minderheiten sich eher auf die Seite von Präsident Assad und der syrischen Regierung stellten als auf jene der sunnitisch-islamistisch dominierten Rebellen.

Friede weit entfernt wegen sunnitisch-schiitischem Kampf um Vorherrschaft
Laut Balanche ist eine Lösung des Kriegs in weite Ferne gerückt, da die konfessionellen Spaltungen „von regionalen Mächten befeuert wurden, die ihren Einfluss in der Region ausbauen wollen". Er sehe im Konflikt einen Stellvertreterkrieg zwischen einer sunnitischen Achse - angeführt von der Türkei und Saudi-Arabien – und einer schiitisch iranischen Achse und verglich ihn mit dem Dreissigjährigen Krieg in Europa vor 400 Jahren.

Prof. Dr. Fabrice Balanche habe auch die amerikanische und französische „Besessenheit nach einem Regierungswechsel in Syrien" kritisiert und ihre stillschweigende Bereitschaft, das Verschwinden der religiösen Minderheiten im Interesse ihrer politischen Ziele zu dulden.

Weitere Infos
Interview im Tages-Anzeiger: «Putin ist notfalls schnell wieder da»
www.tagesanzeiger.ch/14104895

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