Vertreter von Christen, Hindus, Juden und Moslems an der Podiumsdiskussion © Foto: APD Schweiz

Spitalseelsorge muss auf Veränderungen bei Religion und Spiritualität reagieren

Freiburg/Schweiz | 19.05.2016 | APD | Schweiz

Unter dem Titel „Spitalseelsorge in einer vielfältigen Schweiz - Interreligiöse, rechtliche und praktische Herausforderungen“ organisierten am 18. Mai an der Universität Freiburg das „Schweizerisches Zentrum für Islam und Gesellschaft“ (SZIG), das „Institut für Religionsrecht“ der Universität Freiburg sowie des „Institut de sciences sociales des religions contemporaines“ der Universität Lausanne eine Tagung zur Spitalseelsorge. Die von den rechtlich anerkannten Religionsgemeinschaften getragene Spitalseelsorge komme angesichts der religiösen Pluralisierung der Gesellschaft an ihre Grenzen. Sie müsse sich fragen, inwieweit sie eine Begleitung und Unterstützung für Personen anderer Konfessionen biete. „Eine religionsübergreifende ‚Spiritual care’ eröffne neue Gesprächsmöglichkeiten zwischen Religion und Medizin“, so die Organisatoren. Daneben stehe aber weiterhin der Wunsch nach einer Betreuung durch Seelsorgende der je eigenen Religion.

Soziologische Herausforderungen der Spitalseelsorge im multireligiösen Kontext
Bezüglich Religion und Spiritualität gebe es grosse Transformationsprozesse sowohl in der Gesellschaft als auch im Spitalbereich. Religion als identitätsstiftender Faktor werde weniger wichtig, was sich auch daran zeige, dass die Gruppe der Religionslosen zunehme, sagte Prof. Dr. Irene Becci, Universität Lausanne. Andere als die traditionell in der Schweiz bekannten Religionszugehörigkeiten nähmen hingegen zu. Von den 5.600 Angestellten der Spitäler im Kanton Basel-Stadt seien 43 Prozent ausländischer Herkunft sowie 39 Prozent der Patienten, was zudem auch eine religiöse und sprachliche Vielfalt bedeute.

„Spiritual Care“
Bei Krankheit spiele Religion und Spiritualität bei den meisten Menschen eine wichtigere Rolle als in anderen Lebenssituationen, was aber auf Religionslose nicht in gleicher Weise zutreffe. Es stelle sich die Frage, ob „Spiritual Care“ eine Antwort auf alle Transformationsprozesse gleichzeitig sein könne, so Becci.

Laut Bundesamt für Gesundheit sollen Menschen mittels „Spiritual Care“ in Krankheit und Todesnähe „in ihren existenziellen, spirituellen und religiösen Bedürfnissen auf der Suche nach Lebenssinn, Lebensdeutung und Lebensvergewisserung sowie bei der Krisenbewältigung“ begleitet werden.

Spitalseelsorge im Horizont von Spiritual Care
Im deutschsprachigen Gebiet gebe es eine intensive Diskussion im Bereich der praktischen Theologie um das Verhältnis zwischen Seelsorge und „Spiritual Care“, hielt Prof. Dr. Simon Peng-Keller, Universität Zürich, fest.

Es gäbe unterschiedliche Spiritual Care Modelle, die abhängig seien von „politisch-rechtlichen, institutionellen und kulturellen Rahmenbedingungen“, aber auch von unterschiedlichen Konzeptionen des Menschseins, zum Beispiel des „Verständnisses von Gesundheit, Leben, Leiden und Heil(ung)“, so Peng-Keller.

Er könne sich zwei Optionen ausmalen, welche die Integration von Spiritual Care für die Spitalseelsorge habe, sagte der Professor. Es könne zu einer Pluralisierung der konfessionellen Seelsorge kommen, bei der die Zusammensetzung der Seelsorgenden in etwa jener der Patienten entspreche oder es komme zu einer transreligiösen Seelsorge, bei welcher der einzelne Seelsorger unterschiedlichen Konfessionen beziehungsweise Religionen diene.

Menschliches Gegenüber ist wichtiger als ein Seelsorger der eigenen Religion
Juden, Muslime und Hindus würden keine klassische Spitalseelsorge kennen, wie diese von den beiden grossen christlichen Konfessionen angeboten werde, sagten die betreffenden Religionsvertreter im Podiumsgespräch. Ihre Mitglieder und religiösen Leitungspersonen würden sich aber nach und nach der Situation in Schweizer Spitälern anpassen. Dies bedeute, dass sie auch beginnen würden Formen der Spitalseelsorge anzubieten.

Dr. Fatoumata Diawara, Muslima, und Marcel Yair Ebel, Rabbiner, hielten übereinstimmend fest, dass bei der überwiegenden Mehrheit der Kranken die Religion des Seelsorgers oder der Seelsorgerin kaum eine Rolle spiele. Viel wichtiger für Kranke sei die Möglichkeit, dass jemand Zeit zum Gespräch habe.

Sasikumar Tharmalingam, hinduistischer Priester, erläuterte, dass es im Hinduismus keine Seelsorge gebe. Angehörige seiner Religion kämen üblicherweise in den Tempel zum Priester. Hinduistische Patienten im Spital hätten auf seine Frage, ob sie etwas dagegen hätten, wenn ein christlicher Pfarrer sie besuchen würde, geantwortet: „Besser als nichts.“

Reinigungspersonal im Spital funktioniert beiläufig auch als „Spitalseelsorge“
Pascal Mösli, Koordinator Palliative Care der Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn wies auf die multikulturelle Zusammensetzung des Reinigungspersonal im Spital hin. Er habe schon miterlebt, wie das Reinigungspersonal, das keinen medizinischen Auftrag habe, ins Patientenzimmer komme und wegen ihres möglicherweise gleichen kulturellen oder sprachlichen Hintergrunds wie jener der Patienten, zu deren „Seelsorger“ würden. Das Pflegepersonal käme täglich vorbei und könne sich beiläufig etwas Zeit zum Gespräch nehmen.

Ökonomisierung der Spitäler kann kontraproduktiv für Spitalseelsorge sein
Marcel Yair Ebel, Rabbiner und Pascal Mösli hielten fest, dass das Servieren der Mahlzeiten durch das Servicepersonal der Hotellerie und nicht durch das Pflegepersonal, eine aufgaben- oder absichtslose Begegnung zwischen Pflegenden und Patienten verunmögliche. Früher sei es dabei zwischen Pflegepersonal und Patienten zu Gesprächen gekommen, die für Patienten wichtig gewesen seien. Die zunehmende wirtschaftliche Optimierung der Pflege in den Spitälern gehe an wichtigen Bedürfnissen der Patienten vorbei, so Mösli.

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