Wohin führt der Weg der adventistischen Kirche nach San Antonio?

| 20.04.2017 | APD | Buchrezensionen

Rezension

“Where are we headed?” © Cover: Oak & Acorn Publ.

William G. Johnsson, “Where are we headed? Adventism after San Antonio”, Oak & Acorn Publishing, März/April 2017, Taschenbuch, 178 Seiten, ISBN 978-1521040676, Amazon € 12.95, Kindle E-Book, 310 KB, ASIN B06XMXSYTH, € 9.80; Titel der spanischen Ausgabe: “¿Hacia dónde vamos?: El adventismo después de San Antonio”, Paperback, Amazon $ 12.95

In San Antonio, Texas/USA, fand im Sommer 2015 die 60. Weltsynode (Generalkonferenz-Vollversammlung) der Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten statt. „San Antonio markiert einen Wendepunkt in der Geschichte der Siebenten-Tags-Adventisten. Aus historischer Sicht könnte die Generalkonferenz-Vollversammlung von 2015 einst ein ähnliches Gewicht erhalten, wie jene von 1888, als sich extrem gegensätzliche Auffassungen in der Kirche gegenüberstanden. Im Buch ‚Where Are We Headed‘ [Wohin führt unser Weg?] blickt William Johnsson auf die adventistische Kirche nach jenem schicksalshaften Sommer 2015 und stellt sich dabei zwei Fragen: ‚Was bewegt die adventistische Kirche heute?‘ und ‚Wie können wir darauf antworten?‘“ Mit diesen Worten wird das soeben erschienene Buch von William G. Johnsson der Öffentlichkeit vorgestellt.

Der Autor (Jg. 1934) ist ein weltweit anerkannter adventistischer Theologe, und langjähriger Chefredaktor der nordamerikanischen Kirchenzeitschrift „Adventist-Review“. Herausgeber des Titels ist der kürzlich gegründete Oak & Acorn Verlag, der zum Materialdienst der überregionalen Kirchenleitung Pacific Union Conference PUC (Union/Verband) der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Kalifornien/USA gehört. Das Buch wird auf der Plattform amazon.com als Kindle-E-Buch oder als Taschenbuch, auch in spanischer Sprache angeboten.

William G. Johnsson © Foto: Adventist Review

Johnsson war zutiefst betroffen vom Entscheid der Weltsynode 2015 in San Antonio, wonach es den weltweit dreizehn Kirchenregionen auch in Zukunft nicht individuell erlaubt wird, Frauen, die wie ihre männlichen Kollegen im Pastorenamt dienen, zu ordinieren. Mit dieser Entscheidung wurde der Riss, der nicht nur entlang dieser Frage durch die weltweite Denomination geht, deutlich sichtbar. Johnsson spricht in seinem Buch deshalb auch andere, verwandte Polarisationsfelder an. Der heute 82-jährige Theologe lässt seine Leserinnen und Leser in den zehn kurzen Kapiteln Einblick nehmen in seine Beobachtungen, Sorgen, Hoffnungen und in seine Vision der adventistischen Kirche.

Wenn Johnsson über die Frauenordination (Kap.1) spricht, gibt er sich überzeugt, dass sie sich in der Praxis trotz San Antonio weltweit unaufhaltsam durchsetzen wird. Dies deshalb, weil hier ein kirchenrechtlicher Mehrheitsbeschluss über das Gewissen einer beachtlichen Minderheit gestellt werde. Die menschenrechtliche und ethische Dimension sei in der gesamten Diskussion viel zu wenig beachtet worden. Da es aber weder um eine Frage der fundamentalen Glaubensüberzeugungen gehe und im Vorfeld auch kein genügend breit abgestützter bibeltheologischer Konsens habe gefunden werden können, dürfe diese Frage unmöglich weltweit uniformistisch geregelt werden.

Ausgehend von dieser Einschätzung ist Johnsson auch fest davon überzeugt, dass dieser Beschluss zur Frauenordination gravierende Schwachstellen der heutigen Kirchenorganisation offenbare. Im letzten Kapitel des Buches (Kap.10) argumentiert er deshalb nachdrücklich für eine tiefgreifende Strukturreform. Er plädiert dabei auf der Basis seines Verständnisses des Evangeliums für eine „Einheit von unten nach oben“ und warnt vor einer von ihm beobachteten Tendenz, diese „von oben nach unten“ organisieren und durchsetzen zu wollen.

Johnsson zitiert im Folgenden eine offizielle Stellungnahme der adventistischen Kirchenleitung in Norwegen zum aktuellen Kurs der Weltkirchenleitung gegenüber jenen Kirchenleitungen, die in der Frage der Frauenordination dem Beschluss der Weltsynode nicht folgen. Damit wird er für die einen wohl zum unliebsamen Systemkritiker werden, für die anderen aber zum weitsichtigen Mahner, der in dieser Entwicklung eine Spaltungsdynamik erkennt, die es unbedingt zu entschärfen gilt.

In den übrigen Kapiteln behandelt Johnsson acht weitere Polarisationsfelder. So beobachtet er eine zu Abgrenzung und Arroganz neigende Auslegung der „Theologie der Übrigen“ (Kap.2), die seiner Meinung nach zur Selbstüberforderung führt und die globale Mission behindert.

Auf der Basis der neutestamentlichen Wiederkunftshoffnung warnt Johnsson vor einem „Warten auf Jesus“ (Kap. 3) das sich am Zeitfaktor orientiert und einer damit verbundenen „Eschatologie der Werke“.

Mit dem Motto „Die Hauptsache ist, dass die Hauptsache die Hauptsache bleibt“ (Kap. 4) begründet der Theologe auf der Basis des von ihm kurz ausgelegten biblischen Befundes, wo die Mitte seines Denkens und Glaubens liegt: bei Jesus Christus, der für unsere Sünden starb. Die Rechtfertigung allein durch den Glauben an Christus betont er als die unverrückbare Hauptsache in der Botschaft der adventistischen Kirche.

Dann fordert Johnsson, dass die Organisation sich bereitmachen müsse, „das Undenkbare zu denken“ (Kap. 5) und ihre im Laufe der Zeit gewachsenen Strukturen konsequent am Evangelium neu auszurichten. Es sei höchste Zeit für eine organisatorische Reform auf allen Ebenen. Eine rigorose Schlankheitskur für die aus seiner Sicht viel zu gross, hierarchisch, träge und teuer gewordene Weltkirchenleitung (Generalkonferenz) sei unumgänglich, wolle man nicht früher oder später durch die Umstände dazu gezwungen werden.

Im Beitrag „Adventisten und die Schöpfung“ (Kap. 6) setzt sich Johnsson mit dem Spannungsfeld Bibel und Naturwissenschaft auseinander und stellt ernstzunehmende Fragen an den Text des in San Antonio revidierten Glaubensartikels Nr. 6 über die Schöpfung. Dazu wirft er auch die Frage auf, inwieweit die adventistischen Glaubensartikel von der Organisation heute mehr als „beschreibend“ oder zunehmend auch als „vorschreibend“ aufgefasst würden.

Wenn es um die „Mission der Gemeinde geht“ (Kap. 7) erläutert Johnsson, weshalb er glaube, dass die stark an Taufzahlen ausgerichtete Evangelisation einem ganzheitlicheren Missionsverständnis, wie es Jesus gelebt habe, im Wege stehe.

In seinem Beitrag über die „Bibelauslegung“ (Kap. 8) zeigt sich Johnsson besorgt darüber, dass die adventistische Kirche wieder zunehmend in eine „flache“ Beweistext-Interpretationsweise der Heiligen Schrift rutsche. Demgegenüber plädiert er für einen „nuancierten Zugang“ zur Heiligen Schrift, der die Suche nach den darin enthaltenen zeitlos gültigen Leitprinzipien Gottes hervorhebe. Der informierte Bibeltheologe legt in diesem Zusammenhang auch sein Verständnis eines gesunden Umgangs mit dem Schrifttum von Ellen G. White, der Mitbegründerin der Kirche, dar und formuliert dazu seine prinzipiellen Leitlinien.

Schliesslich versäumt es Johnsson nicht, eine leidenschaftliche Vision der Adventgemeinde „in ihrer besten Form“ (Kap. 9) zu entwerfen. Er beschreibt dabei auch sein prinzipielles Kirchenverständnis. „In seiner Gnade hat Gott die Adventisten auserwählt, in seinem Plan eine bestimmte Rolle zu spielen. Obwohl wir uns wie Israel, manchmal engherzig, ausgrenzend und narzisstisch verhielten, waren die Ergebnisse immer dann grossartig, wenn wir Gott in unserer Mitte Gott sein liessen“.

Johnssons Buch fordert in jedem Kapitel zu gründlichem Nachdenken heraus. Er mag da und dort überzeichnen und zu hohe Erwartungen äussern. Mit seiner schonungslosen Offenheit wird er gewiss auch heftig anecken. Aber er macht überzeugend deutlich, dass er mit dieser Publikation seinem Gewissen folgt und einen konstruktiven Beitrag zur Lösung der anstehenden Probleme liefern will. Damit wird dieses Buch zu einem anregenden Diskussionsbeitrag eines erfahrenen Theologen, Evangelisten und Kirchenadministrators, der es verdient, von allen gehört zu werden, die sich dafür interessieren, wohin sich die Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten nach San Antonio bewegen wird.
Christian Alt

Aktuelle Bücher von William G. Johnsson auf Deutsch:
«Der Unvergleichliche, Jesus von Nazareth – sein Leben» (Band 1) und «- seine Lehre, sein Leidensweg» (Band 2), Lüneburg, Advent-Verlag, 2016; «Das Beste kommt noch! Warum ich an ein ewiges Leben Glaube», Lüneburg, Advent-Verlag, 2015. Erhältlich bei: www.adventist-media.de; www.av-buchshop.ch; www.toplifecenter.at

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