Der Auftrag: Wenn Christen Politik und Gesellschaft verändern

| 31.08.2017 | APD | Buchrezensionen

Timo Plutschinski - Der Auftrag: Wenn Christen Politik und Gesellschaft verändern; Giessen, Brunnen Verlag, 2017, 208 Seiten, Paperback, 15 €, ISBN 978-3-7655-1500-2

Das 208 Seiten starke Buch gibt einen kurzen Einblick in das Spannungsfeld von Politik und Christentum. Der Autor, Jahrgang 1976, der mit seiner Frau und zwei Töchtern in Hamburg lebt, nähert sich als Theologe und Netzwerker der komplexen Thematik zunächst geschichtlich, dann theologisch um zum Schluss ganz praktisch in der Gegenwart anzukommen.

Aufbau und Gliederung
Das Buch hat sieben Kapitel, wobei die ersten zwei ganz allgemein „Politik in der Bibel“ und „das Erbe der Reformation“ beschreiben. Das dritte Kapitel beleuchtet speziell das „politische und gesellschaftliche Engagement in der Geschichte der evangelikalen Bewegung“. In Kapitel vier zeigt der Autor „theologische Barrieren“ auf, die seiner Meinung nach dazu geführt haben, dass sich evangelikale Christen bisher eher weniger in der Politik engagiert haben. Die letzten drei Kapitel wollen „gesellschaftspolitisches Engagement“ bei den Evangelikalen neu entdecken, „den Auftrag wahrnehmen“ und in vier konkreten Beispielen Politik praktisch werden lassen (diese Beispiele werden jeweils von anderen Autoren verantwortet). Das Buch endet mit einem „Ausblick“, einer Liste mit „Organisationen und Initiativen“ in diesem Bereich und einer „Bibliografie“.

Timo Plutschinski reisst im geschichtlichen Teil interessante Fragestellungen an: Betrieb Jesus aktiv Politik? (S. 31) und: Wie stand Paulus zur Sklavenfrage? Er sieht die Zwei-Reiche-Lehre Luthers als „sozialethische Lähmung“ (S. 45), kritisiert Calvins intoleranten Gottesstaat in Genf und streift Schwärmer und Täufer. Einige prominente Namen in der Geschichte der evangelikalen Bewegung werden aufgeführt, wie Francke und Bodelschwingh, die sich sozialpolitisch engagiert haben.

„Heilsindividualismus“ und eschatologische Selbstvergessenheit
Als theologische Barrieren für politisches Engagement macht Plutschinski das unklare Verständnis vom Reich Gottes aus, das sich zwischen Diesseitigkeit und Jenseitigkeit bewegt. Die Prädestinationslehre und die Auswirkungen gnostischer Theologie hemmen nach Meinung des Autors ein Mitwirken ebenso. Ganz selbstkritisch zeigt der Theologe im Allgemeinen auf, wie sich evangelikale Christen allzu oft in der Antithese zwischen Gottesliebe und Nächstenliebe, zwischen Glaube und Werk, zwischen Eschatologie und Ethik, Evangelisation und Diakonie sowie Bekehrung und sozialer Verantwortung aufgerieben haben (S. 115).

Der Autor beklagt „Heilsindividualismus, Abschottung und unfruchtbare Resignation“ von Christen gegenüber der „verlorenen Welt“ (S. 125) und plädiert für eine christliche Sozialethik, die sich weder in einer Diffamierung der modernen Gesellschaft noch in einer unkritischen Annahme des Gegebenen zeigt. Vielmehr zitiert er als dritten Weg W. Bragg mit dem Konzept der Transformation: „Transformation ist Teil von Gottes ständigen Bemühungen in der Vergangenheit, die ganze Schöpfung zurückzubringen – zu sich und zu ihrer rechtmässigen Bestimmung. Ausserdem ist Transformation die Hilfe gegen persönliche und strukturelle Sünde.“ (S. 126).

Christliche Sozialromantik?
Für Plutschinski ist klar: „Christen müssen sich aktiv in die politische Arbeit einbringen.“ (S. 130). Das beinhalte schon der Schöpfungsauftrag, der zu einer Weltgestaltung und nicht zu einer Erduldung aufruft. Politik beginne mit der Überlegung, den Alltag der Menschen vor Ort menschlicher und somit schöpfungsähnlicher gestalten zu wollen. Diese Einmischung ins Gegebene sieht der Autor als Willensakt, der Kompromisse, Zusammenarbeit und Widerstand beinhalte. „Politisches Engagement ist Arbeit“ – daran lässt er keinen Zweifel.

Doch ist Plutschinski kein hoffnungsloser Romantiker, der Ideal und Realität vermischt. Er sagt klar: „Die Botschaft der Bibel darf nicht dazu missbraucht werden, idealistische Vorstellungen von einer heilen Welt zu wecken.“ (S. 125). „Ein Idealzustand ist angesichts des ‚Gefallenseins der Welt‘ vonseiten der Politik nicht zu erreichen. Doch gerade da ist eine ‚Ethik der Gnade‘ vonnöten, sodass jeder Beteiligte in dem Bewusstsein ans Werk geht, in einem sündigen System als sündiger Mensch noch das Bestmögliche und Gottgefälligste zu tun.“ (S. 135).

Lesetipp
Das Buch „Der Auftrag“ bietet einen guten Einstieg in die Thematik. Leicht zu lesen ist es auch für den interessierten Laien geeignet, der sich selbstkritisch informieren möchte. Der geschichtliche Teil ist dabei etwas knapp und eklektizistisch. Die dargestellten Glaubensüberzeugungen, die eine gewisse Weltferne begünstigen würden, regen zu weiteren theologischen Diskussionen an. Die vier aktuellen Beispiele von engagierten Christen machen Mut für die Zukunft. Dabei bleibt für den Leser neben aller neugewonnenen Information die Frage offen: Wo stehe ich zwischen den Spannungspolen Eschatologie und Ethik, Evangelisation und Diakonie, zwischen Bekehrung und persönlicher sozialer Verantwortung?
Claudia Mohr

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