"Es gibt kein Recht auf einen Handschlag"

Basel/Schweiz | 30.01.2018 | APD | Religionsfreiheit

An der Weiterbildungsveranstaltung der Juristischen Fakultät der Universität Basel, zum Thema "Recht, Religion und Arbeitswelt", nahmen am 24. Januar rund 75 Personen teil. Es ging um positive und negative Religionsfreiheit in privaten und öffentlichen Arbeitsverhältnissen, unter anderem auch um den Umgang mit religiösen Symbolen. Im Podiumsgespräch sagte Beat W. Zemp, Zentralpräsident des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH) in Bezug auf den Fall Therwil/BL, bei dem zwei muslimische Schüler der Lehrerin den Handschlag verweigerten: "Es gibt kein Recht auf einen Handschlag".

Religionsfreiheit an öffentlichen Schulen
Ausgehend vom Fall Therwil meinte Zemp, dass bei Problemen in Sachen Religionsfreiheit zwischen Lehrpersonen und Schülern besser "pädagogische anstatt rechtliche Lösungsansätze" gesucht werden sollten. "Wir sollten Toleranz entwickeln und nicht gleich hyperventilieren".

Bei Problemen an Schulen, im Zusammenhang mit Religionsfreiheit, ortete Zemp bezüglich Lehrpersonen als Problemfelder die Kopftuchfrage sowie die stetige Zunahme von evangelikalen Lehrpersonen. Bei den Schülern gäbe es beim Schwimmunterricht, bei Klassenlagern, beim Handschlag sowie der Essenskultur am Mittagstisch in Tagesschulen, Stichwort Schweinefleisch, Probleme. Religionsfreiheit spiele aber auch beim Lehrplan 21 eine Rolle, wenn es um die Frage gehe, ob an den öffentlichen Schulen konfessioneller Religionsunterricht erteilt ("teaching in religion") oder Grundwissen über Religionen ("teaching about religion") vermittelt werden soll. Zusätzlich schwappe aus den USA die Diskussion in die Schweiz, was über den Ursprung gelehrt werden soll: "Intelligent design", der biblische Schöpfungsbericht oder die Evolutionstheorie.

Religionsfreiheit gilt grundsätzlich auch im privaten Arbeitsverhältnis
"Stündeler" oder "Fischli" haben Nachteile bei der Suche einer Arbeitsstelle, sagte Kurt Pärli, Professor für Soziales Privatrecht an der Juristischen Fakultät der Universität Basel. Eine Kündigung wegen Kopftuchttragens, für die keine sachlichen Gründe angeführt werden könnten, wie zum Beispiel Hygiene, sei missbräuchlich. "Religionsfreiheit gilt grundsätzlich auch im privaten Arbeitsverhältnis", so Pärli, und könne vertraglich nicht gänzlich wegbedungen werden. Die Berufung auf die Religionsfreiheit seitens des Unternehmers als auch der Arbeitnehmenden dürfe nicht zur Diskriminierung anderer führen, wie zum Beispiel den Mitarbeitenden oder Kunden. "Man kann sich nicht auf Religionsfreiheit berufen, wenn man andere diskriminieren will", sagte Kurt Pärli. Wenn es zu keiner Einigung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber komme, müssten die kollidierenden Interessen von den Gerichten gegeneinander abgewogen werden, wobei der Kontext und die Verhältnismässigkeit zu beachten sei. Viele Probleme seien aber auf betrieblicher Ebene lösbar.

Religionsfreiheit im öffentlichen Dienstverhältnis
Andreas Stöckli, Professor für öffentliches Recht an der Juristischen Fakultät der Universität Basel, eröffnete sein Grundsatzreferat zur Religion im öffentlichen Dienstverhältnis mit einigen Fragen: Darf einem Angestellten im öffentlichen Dienst gekündigt werden, weil er sich weigert eine Halskette mit einem sichtbaren Kreuz abzulegen? Ist es zulässig, einer Person den Zugang zum öffentlichen Dienst bloss deshalb zu verweigern, weil sie einer "fundamentalistischen" Religionsgemeinschaft angehört? Darf sich ein Arbeitnehmer unter Berufung auf seinen Glauben weigern, bestimmte Amtshandlungen auszuführen, zum Beispiel Medizinalpersonen einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen oder Standesbeamte eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft einzutragen? Im Gesundheitsgesetz des Kantons Bern sei in Art. 23 die "Weigerung aus Gewissensgründen" für Fachpersonen beschrieben, sich nicht an einem Schwangerschaftsabbruch zu beteiligen: "Die Fachperson kann die Mitwirkung an einer Behandlung verweigern, die ihren ethischen oder religiösen Überzeugungen widerspricht..."

Zum Tragen religiöser Symbole und Kleidungsstücke von Personen im öffentlichen Dienst bzw. dem Aufhängen von religiösen Symbolen in öffentlichen Gebäuden schlug Andreas Stöckli eine differenzierte Betrachtungsweise vor: Das Tragen des Kopftuches einer Lehrerin sei eine persönliche "Position" und könnte zugelassen werden, zumal kein religiöser Einfluss auf die Schüler belegbar sei. Das Aufhängen eines Kruzifixes in einem Schulzimmer sei aber eine "Aussage" bzw. eine "Position" des Staates, der in religiösen Belangen der Neutralität verpflichtet sei, was deshalb zu unterlassen sei.

Grundsätzlich gelte es der Verhältnismässigkeit bei Konflikten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bezüglich der Gewährung der Religionsfreiheit viel Gewicht beizumessen, so Stöckli.

In drei Workshops am Nachmittag wurde die Rolle der Arbeitgeber in Verwaltung, Unternehmen, Schule, Kirchen und Religionsgemeinschaften thematisiert und diskutiert.

Referierende
Prof. Dr. Nathalie Amstutz, Dozentin für Diversity Management an der Hochschule für Wirtschaft, Fachhochschule Nordwestschweiz; Prof. Dr. iur. Denise Buser, Titularprofessorin für kantonales öffentliches Recht an der Juristischen Fakultät der Universität Basel; Prof. Dr. iur. Felix Hafner (Tagungsleitung), Professor für Öffentliches Recht an der Juristischen Fakultät der Universität Basel; Dr. phil. Christian Griss, Leiter Sekundarstufe und Leiter Dienste, Volksschulen, Erziehungsdepartment Basel-Stadt; Dr. iur. Claudia Kaufmann, Ombudsfrau der Stadt Zürich; Dr. iur. Anne Kühler, LL.M. (Tagungsleitung), Oberassistentin am Rechtswissenschaftlichen Institut der Universität Zürich; Prof. Dr. iur. Karine Lempen, Professorin für Arbeitsrecht an der Juristischen Fakultät der Universität Genf; Prof. Dr. iur. Matthias Mahlmann, Professor für Philosophie und Theorie des Rechts, Rechtssoziologie und Internationales Öffentliches Recht an der Universität Zürich; Dr. iur. Christoph Meyer, LL.M., Advokat, NEOVIUS AG Advokaten & Notare; Lehrbeauftragter an der Universität Basel; Prof. Dr. iur. Kurt Pärli, Professor für Soziales Privatrecht an der Juristischen Fakultät der Universität Basel; Dr. phil. Lilo Roost Vischer, Ethnologin und Religionswissenschaftlerin, Dozentin und Beraterin; ehem. Koordinatorin für Religionsfragen im Präsidialdepartement Basel-Stadt und Leiterin des Runden Tischs der Religionen beider Basel; Pfr. Martin Stingelin, Kirchenratspräsident der Evangelisch-reformierten Kirche des Kantons Basel-Landschaft; Prof. Dr. iur. Andreas Stöckli (Tagungsleitung), Professor für Öffentliches Recht, insbesondere Öffentliches Wirtschaftsrecht an der Juristischen Fakultät der Universität Basel; Diego Stoll, Advokat, Advokatur und Notariat Neidhart Vollenweider Joset Stoll Gysin Tschopp; Mitglied des Landrats des Kantons Basel-Landschaft; Prof. Dr. iur. Daniela Thurnherr, LL.M., Professorin für Öffentliches Verfahrensrecht, Verfassungsrecht und Verwaltungsrecht an der Juristischen Fakultät der Universität Basel; dipl. math. Beat W. Zemp, Zentralpräsident Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH.

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