Denkmal für Deserteure und andere Opfer der Militärjustiz in der Zeit des Nationalsozialismus, Hamburg © Foto: Holger Teubert/APD

«Motor» der «Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz» verstorben

Bremen/Deutschland | 09.07.2018 | APD | Personen

Ludwig Baumann, Vorsitzender der deutschen «Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz» (Nationalsozialismus), verstarb am 5. Juli im Alter von 96 Jahren in Bremen. Sein unermüdliches Engagement hat zur gesellschaftlichen Anerkennung und gesetzlichen Rehabilitierung der Kriegsdienstverweigerer, Wehrkraftzersetzer und Deserteure der Deutschen Wehrmacht geführt. Der Hochbetagte sei „Herz, Motor und Stimme“ der Opfervereinigung gewesen, so der Schriftführer des Vereins, Günter Knebel, Bremen.

Als Fahnenflüchtiger zum Tode verurteilt und geächtet
Ludwig Baumann wurde am 13. Dezember 1921 in Hamburg-Dammtor geboren. Er absolvierte eine Maurerlehre und leistete den Reichsarbeitsdienst beim Deichbau in Ostpreussen ab. Im Februar 1941 erfolgte die Einberufung zur Kriegsmarine in Belgien und ab Juni 1941 wurde er als Wachsoldat einer Hafenkompanie in Bordeaux/Frankreich eingesetzt. Am 3. Juni 1942 desertierte er zusammen mit einem Kameraden, weil er erkannt habe, dass Deutschland einen „verbrecherischen, völkermörderischen Krieg“ führte. Am Tag der Desertion verhafteten ihn deutsche Grenzposten. Am 30. Juni 1942 wurde er wegen „Fahnenflucht im Felde“ zum Tod verurteilt. Davon, dass das Todesurteil in eine zwölfjährige Zuchthausstrafe umgewandelt wurde, erfuhr Baumann erst nachdem er zehn Monate in Todesangst in der Todeszelle eines Wehrmachtsgefängnisses verbracht hatte. Der „Begnadigte“ kam ins KZ Esterwegen im Emsland und danach ins Wehrmachtsgefängnis Torgau. Er überlebte verwundet den Einsatz in einem Strafbataillon, in der sogenannten Bewährungstruppe 500, in besonders gefährdeten Abschnitten an der Ostfront.

Nach der Rückkehr aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft hatte er es schwer in einer Gesellschaft, in der Deserteure noch immer als „Feiglinge“ geächtet wurden. 1990 gründete er mit etwa 40 noch lebenden Wehrmachtdeserteuren sowie einigen engagierten Wissenschaftlern und Historikern die «Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz». Ziel der Vereinigung war eine Aufhebung der Unrechtsurteile gegen Deserteure, „Wehrkraftzersetzer“, „Kriegsverräter“, Selbstverstümmler und andere Opfer der NS-Militärjustiz durchzusetzen, sowie deren vollständige Rehabilitierung. Was als Tabubruch und Provokation begann, führte nach beharrlichem Kampf zu einer konstruktiven gesellschaftlichen Debatte und der sehr späten gesetzlichen Rehabilitierung: Das NS-Unrechtsaufhebungsgesetz von 1998 rehabilitierte Kriegsdienstverweigerer und Wehrkraftzersetzer, das erste Ergänzungsgesetz 2002 pauschal homosexuelle NS-Opfer und die Deserteure der Wehrmacht, das zweite NS-Unrechtsaufhebungsgesetz 2009 schliesslich auch die wegen Kriegsverrats verurteilten Opfer der NS-Militärjustiz.

„Ohne Ludwig Baumanns hartnäckiges und zielstrebiges Engagement, das vielfach ausgezeichnet wurde, wäre diese gesellschaftliche und politische Rehabilitierung, die eine – wenn auch marginale – Entschädigung einschloss, nicht zustande gekommen“, betonte Günter Knebel.

„Ein Beitrag für den Frieden“
Insgesamt seien laut der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz während des Zweiten Weltkrieges über 30.000 Deserteure zum Tod verurteilt und davon rund 23.000 hingerichtet worden. Mehr als 100.000 von der NS-Militärjustiz verurteilte Soldaten hätten KZ, Straflager und Strafbataillon nicht überlebt. Erst in seinem Grundsatzurteil vom 16. November 1995 habe der Bundesgerichtshof die Wehrmachtjustiz als eine „Blutjustiz“ gebrandmarkt, „deren Richter sich wegen Rechtsbeugung in Tateinheit mit Kapitalverbrechen hätten verantworten müssen“. Doch nicht einer der Wehrmachtrichter sei in der Bundesrepublik Deutschland jemals bestraft worden. Baumann war davon überzeugt, dass auch heute Kriegsverrat „ein Beitrag für den Frieden und eine gerechtere Welt“ wäre.

Zu den Opfern der NS-Militärjustiz gehöre auch die Gruppe der Kriegsdienstverweigerer, die bereit gewesen sei, für ihre Überzeugung keine Waffe in die Hand zu nehmen, in den Tod zu gehen, informierte Holger Teubert, Leiter des Referats Kriegsdienstverweigerung und Frieden der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland. August Dickmann sei als erster deutscher Kriegsdienstverweigerer im Zweiten Weltkrieg am 15. September 1939 öffentlich hingerichtet worden. Er war Zeuge Jehovas. Nach Angaben von Historikern wurden bis 1945 etwa 250 deutsche und österreichische Zeugen Jehovas vom Reichkriegsgericht wegen Kriegsdienstverweigerung zum Tode verurteilt und in der Regel durch das Fallbeil getötet. Namentlich seien elf römisch-katholische Kriegsdienstverweigerer bekannt, die im Zweiten Weltkrieg hingerichtet wurden. Hermann Stöhr sei der einzige bekannte Christ einer evangelischen Landeskirche, der als Kriegsdienstverweigerer vom Reichskriegsgericht zum Tode verurteilt wurde. Aus den Freikirchen wurden wegen Kriegsdienstverweigerung neun Siebenten-Tags-Adventisten, ein Baptist und ein Mitglied der Gemeinschaft der Christadelphian hingerichtet, so Teubert, der auch die Vereinigung Evangelischer Freikirchen (VEF) im Vorstand der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden (EAK) vertritt.

Gedenkstätte für Kriegsdienstverweigerer in Hamburg
Ein Denkmal für Deserteure und andere Opfer der NS-Militärjustiz wurde am 24. November 2015 in Hamburg zwischen Stephansplatz und Dammtor eingeweiht. „Das Umdenken kam spät. Nicht zu spät, aber doch beschämend spät“, betonte der damalige Erste Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz in seiner Ansprache. Ludwig Baumann bekannte: „Das ist für mich eine bewegende Stunde und es geht heute ein später Traum in Erfüllung.“

Sich nicht für Kriege missbrauchen lassen
Die evangelische Friedensarbeit würdigte den verstorbenen Vorsitzenden des Bundesverbands für die Opfer der NS-Militärjustiz für sein unermüdliches und langjähriges Engagement für die Annullierung der Urteile der NS-Militärgerichte, aber auch für sein Eintreten für Gewissensfreiheit, Kriegsdienstverweigerung und Gewaltfreiheit. Gewaltfrei leben, sich nicht für Kriege missbrauchen lassen, und auch als Soldaten selbstständig denken und das Gewissen prüfen, habe Baumann mit Nachdruck in seiner vor vier Jahren erschienenen Biografie „Niemals gegen das Gewissen“ (Herder Verlag Freiburg) betont. „Er hat sich sein Leben lang für Gewaltfreiheit, für den Frieden und für Gerechtigkeit eingesetzt. Seine Stimme wird fehlen, nicht zuletzt angesichts der Tatsache, dass auch heute weiterhin Kriegsdienstverweigerer weltweit verfolgt und eingesperrt werden und sich Tausende vor militärischen Einsätzen in Kriegen auf die Flucht begeben müssen“, so Renke Brahms, der Friedensbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Leitender Geistlicher der Bremischen Evangelischen Kirche.

Baumanns Einsatz für ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung hob auch die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden (EAK) hervor. „Seine schlimmen Erfahrungen in der NS-Zeit haben Ludwig Baumann zu einem grossen Verfechter der Gewissensfreiheit gemacht. Unermüdlich hat er sich für Kriegsdienstverweigerung als Menschenrecht eingesetzt“, unterstrich EAK-Bundesvorsitzender Dr. Christoph Münchow.

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