Symbolbild © Foto: pexels/pixabay

Buchrezension: «Säkularer Staat - viele Religionen: Religionspolitische Herausforderungen der Gegenwart»

Ostfildern/Deutschland | 03.10.2019 | APD | Buchrezensionen

Hans Michael Heinig, Säkularer Staat - viele Religionen: Religionspolitische Herausforderungen der Gegenwart, Hamburg: Kreuz Verlag 2018, 144 Seiten, gebunden, 14,00 EUR, ISBN: 978-3-946905-53-0

Der Band des Rechtswissenschaftlers Professor Dr. Hans Michael Heinig vereint unterschiedliche Beiträge zu aktuellen religionspolitischen Herausforderungen in der Bundesrepublik, die als Vorfassungen bereits in verschiedenen Zeitschriften veröffentlicht und teilweise überarbeitet, aktualisiert und erweitert wurden. Das bringt es mit sich, dass sich hier und da auch Redundanzen ergeben. Heinig ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, insbesondere Kirchenrecht und Staatskirchenrecht an der Georg-August-Universität Göttingen sowie Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland. So erstaunt es nicht, dass die Perspektive des Autors von einer evangelisch-landeskirchlichen Warte aus erfolgt.

Die Beiträge zeichnen sich durch eine dem Autor eigene Sprachkraft aus: Heinig gelingt es, rechtlich abstrakte Sachverhalte kompakt darzustellen und sie beispielhaft auf praktische religionspolitische Herausforderungen anzuwenden. Diese hohe Verdichtung mag manche Leser abschrecken; das Buch richtet sich jedoch nach eigenen Angaben „an allgemein interessierte Leserinnen und Leser“ (S. 9). Die 15 Kapitel sind den Teilüberschriften „Religionspolitische Ordnung“, „Toleranz und Religionskritik“, „Protestantismus“ sowie „Islam im freiheitlich-demokratischen Verfassungsstaat“ untergeordnet.

Religionspolitische Ordnung
Dem Leser wird bei der Lektüre dieses ersten und umfassenden Abschnitts (Kap. 1-6) schnell deutlich, dass das religionspolitische Modell der Bundesrepublik dafür ausgelegt ist, einen Mittelweg zwischen Staatskirchentum und Laizismus zu gehen. Die Bevorzugung und Privilegierung einer Religion soll ebenso vermieden werden wie die Zurückdrängung des Religiösen in die Privatsphäre. Der Staat soll als weltanschaulich neutraler Akteur den Rahmen vorgeben und Handlungsspielräume eröffnen, welche die unterschiedlichen Religionsgemeinschaften dann im Rahmen der Gesetze ausfüllen können.

Heinig führt seine Leser zunächst in die „vieldeutige Ordnungsidee der religiös-weltanschaulichen Neutralität“ (Kap. 1) ein, beleuchtet Konsequenzen für die Kirchen (Kap. 2) und widmet sich der Zukunft des Religionsunterrichts an staatlichen Schulen (Kap. 3). Neben der Frage, wie Hochschulen mit religiöser Diversität umgehen sollen (Kap. 4), legt der Autor eine gut begründete Kritik des Grundsatzpapiers zur Religionspolitik von Bündnis 90/Die Grünen (Kap. 5) sowie von religionspolitischen Positionen der AfD (Kap. 6) vor.

Toleranz und Religionskritik
Der nächste Abschnitt umfasst lediglich zwei Kapitel. Heinig zeigt in Kapitel 7 den Zusammenhang von Toleranz und Religionsfreiheit auf. Während letztere ein grundgesetzlich verankertes Recht ist, bezeichnet erstere „ein verfassungsrechtlich anerkanntes soziales Gut, als Teil eines bürgerschaftlichen Ethos, das es staatlicherseits zu fördern und zu schützen gilt“ (S. 76). Inwieweit gläubige Menschen „Religionsbeschimpfungen“ erdulden müssen, ist das Thema von Kapitel 8. Heinig legt dar, dass es unserer Freiheitsordnung widersprechen würde, „wenn Religionsangehörige es in der Hand hätten, mittels Steigerung ihres Empörungsgrades bis hin zur Gewaltbereitschaft ihre Kritiker einer strafrechtlichen Verfolgung auszusetzen“ (S. 80). Daher hat § 166 Strafgesetzbuch für Heinig eher symbolische Bedeutung.

Protestantismus
Der evangelisch-landeskirchlichen Verwurzelung des Autors ist die eingeschränkte Perspektive von Kapitel 9 geschuldet, das eine Verhältnisbestimmung des Protestantismus in der deutschen Demokratie vornimmt. Dass der Begriff „Protestantismus“ nicht nur die Konfessionsfamilien der Lutheraner und Reformierten umfasst, kommt leider überhaupt nicht in den Blick. Kapitel 10 lässt sich als Plädoyer für den sogenannten „Dritten Weg“ lesen, es geht um die spannungsreiche Frage nach Arbeitnehmerrechten in kirchlichen Einrichtungen. Bewusst als „Polemik“ ausgewiesen ist die nach Meinung des Rezensenten sachgemässe Kritik am Evangelischen Kirchentag (Kapitel 11).

Islam im freiheitlich-demokratischen Verfassungsstaat
Den in der Öffentlichkeit wohl am intensivsten diskutierten religionspolitischen Herausforderungen widmet Heinig im letzten Abschnitt des Buches insgesamt vier Kapitel. In Kapitel 12 geht es um die Frage der religiösen Symbole und Kleidung in der Öffentlichkeit. Heinig bringt eigene Anfragen in die Debatte ein, bezieht aber nach Einschätzung des Rezensenten selbst keine klare Position. Die Frage, ob der Staat vertragliche Vereinbarungen mit muslimischen Verbänden schliessen soll, wird von ihm dagegen positiv beantwortet (Kap. 13).

Ein „Islamgesetz nach österreichischem Vorbild“ lehnt der Autor vehement ab (Kap. 14). Die bisher vorhandenen rechtlichen Grundlagen, um gegen religiös-militanten Extremismus vorzugehen, reichten aus, es fehle „häufiger am Willen und den Mitteln, diese effektiv zu vollziehen“ (S. 125). Bei der Frage, ob ein islamischer Feiertag in der Bundesrepublik eingeführt werden soll (Kap. 15), plädiert Heinig dafür, nicht das singulär religiöse, sondern „das Allgemeine“ in den Vordergrund zu stellen: „Feiertage sind Gegenstand der Identitätspolitik einer politischen Gemeinschaft“ (S. 132).

Offen blieb für den Rezensenten unter anderem die wichtige Frage nach einem angemessenen Umgang mit dem politischen Islam (Stichwort „Scharia“). Der juristisch zwar richtige, doch lapidar dahingeworfene Satz „Weder Scharia noch Kirchenasyl gehen dem staatlichen Recht vor“ (S. 124) wird der Komplexität aktueller Herausforderungen weder theoretisch noch praktisch gerecht.

Fazit
Seinem Ziel, religionspolitische Orientierung angesichts von „Herausforderungen der Gegenwart“ in der Bundesrepublik Deutschland bereitzustellen, kommt das Buch von Hans Michael Heinig in knapper Form nach. Natürlich können in einem schmalen Band nicht alle aktuellen Problemstellungen abgehandelt werden. Hier könnten die „Hinweise auf weiterführende Literatur“ (S. 136) wertvolle Anregungen geben. Als Einstieg für Leser, die sich bisher wenig mit deutscher Religionspolitik und deutschem Religionsrecht beschäftigt haben, sei das Buch allerdings empfohlen.

Jens-Oliver Mohr

(6260 Zeichen)
© Nachrichtenagentur APD Basel (Schweiz) und Ostfildern (Deutschland). Kostenlose Textnutzung nur unter der Bedingung der eindeutigen Quellenangabe "APD". Das © Copyright an den Agenturtexten verbleibt auch nach ihrer Veröffentlichung bei der Nachrichtenagentur APD. APD® ist die rechtlich geschützte Abkürzung des Adventistischen Pressedienstes.