Michael Müller, Verena Mühlethaler, Stefan Jütte (Moderator), Hans-Peter Portmann, Beatrice Acklin Zimmermann (v. li.) © Foto: Herbert Bodenmann/APD

Tagung: «Kirche ohne Politik?»

Zürich/Schweiz | 26.11.2019 | APD | Schweiz

Wie kann die Kirche, wie können ihre Amtsträger Grundüberzeugungen des christlichen Glaubens in ihren politischen Konsequenzen artikulieren? Dieser Fragestellung war die Tagung «Kirche ohne Politik?» am 25. November in der Citykirche Offener St. Jakob in Zürich gewidmet. Diese Debatte wurde vom Thinktank «Politik und Kirche» neu entfacht und an der Tagung von rund 40 Personen, unter anderem am Beispiel der Konzernverantwortungsinitiative, diskutiert.

Beatrice Acklin Zimmermann, Leiterin Fachbereich Religion, Theologie und Philosophie an der Paulus-Akademie und FDP-Mitglied im Generalrat der Stadt Freiburg und Mit-Gründerin des Thinktanks, sagte in ihrem Referat, dass die Einmischung der Kirchen in politische Diskussionen für die eine oder andere politische Seite ärgerlich sein und Irritationen hervorrufen könne. Kirchenvertreter mischten sich ein, ohne sich demokratischen Wahlen zu stellen, würden fordern, ohne dafür die Verantwortung übernehmen zu müssen. Die Kirche müsste Gesinnungs- mit Verantwortungsethik verbinden.

"Politisch" und "parteipolitisch" sind zwei Paar Schuhe
Acklin präsentierte 15 Thesen zur Rolle der Kirche im öffentlichen Diskurs: «Der Verkündigungsauftrag der Kirche ist unauflöslich mit einem Öffentlichkeitsauftrag verbunden und von daher hochpolitisch.» Der christliche Glaube habe immer auch mit dem hier und jetzt zu tun, womit die Kirche auch politisch sei, auch dann, wenn sie vorgebe, nicht politisch zu sein. In der zweiten These unterschied sie zwischen «politisch» und «parteipolitisch» und dass die Kirche sich nicht vor einen parteipolitischen Karren spannen lassen solle. Die Geschichte lehre, dass Allianzen von Kirchen und politischen Parteien «stets zu fatalen Verklumpungen» geführt hätten. Es gäbe auch keine christliche Politik oder Parteien, hingegen Christen in allen Parteien. Die Kirche müsse sich an öffentlichen politischen Debatten beteiligen, so Acklin. Es sei keine Frage des «ob» sondern des «wie». Dabei gelte es zu berücksichtigen, dass die Kirchenmitglieder nicht durch politische Überzeugungen zusammengehalten würden, sondern durch den gemeinsamen Glauben.

Kirche als «Wertereservoir», nicht aber «Moralagentur»
Die Kirche solle demnach eigene Themen setzen und sich nicht mit der Verstärkerrolle politischer Positionen zufriedengeben. Sie sei auch nur eine Stimme in der politischen Debatte und könne nicht mit einem Wahrheitsanspruch auftreten. Der Bekenntnisfall (status confessionis), wo die Kirche Stellung beziehen müsse, sei für die Kirchen dann gegeben, wenn von Christen ein menschenverachtendes Verhalten eingefordert würde, sagte die Theologin. Sie rät der Kirche, nicht Parolen bzw. bei Abstimmungen ein Ja oder Nein zu empfehlen, sondern mit ihrer ethischen Kompetenz und einer differenzierten Güterabwägung zur Meinungsbildung beizutragen. Die Kirche sei ein «Wertereservoir», nicht aber eine «Moralagentur» und spiele deshalb bei der Vermittlung von Werten eine wichtige Rolle. Deshalb dürfe sie sich auch nicht scheuen, sich gegen Mehrheiten zu stellen, so Acklin. Sie beendete das Referat mit einem Zitat von Sören Kierkegaard: «Wer sich mit dem Zeitgeist vermählt, findet sich schnell als Witwer vor.»

Co-Referent PD Dr. Stefan Grotefeld, Leiter Abteilung Lebenswelten, Landeskirche Zürich, antwortete Acklin aus sozialethischer Sicht und ergänzte, dass «Kirche» besser im Plural verwendet werden solle, da es viele kirchliche Akteure gebe und dass es in der Öffentlichkeit keine grosse Nachfrage nach kirchlichen Stellungnahmen zu politischen Fragen gebe. Grotefeld riet nicht zu politischer Abstinenz der Kirchen, sondern zu Zurückhaltung und innerkirchlicher Toleranz bei politischen Themen.

Gesprächsrunde
Hans-Peter Portmann, Nationalrat FDP/ZH, sagte in der Podiumsdiskussion, dass die Medien und die Kirchen staatsrechtlich beide die gleiche Position hätten, sie seien zu Neutralität verpflichtet. Ob die Kirchen immer noch ein «prophetisches Wächteramt» hätten, wurde kontrovers diskutiert. Beatrice Acklin meinte, dass die Kirche diese kritische Funktion gegenüber der Politik in der heutigen demokratischen, pluralistischen Gesellschaft grösstenteils eingebüsst habe. Michael Müller, Zürcher Kirchenratspräsident, sprach von einem «seelsorgerlichen Wächteramt» der Kirchen, das einen Fokus auf Arme habe.

Organisatoren
Die Nachmittagstagung wurde angeboten von Aus- und Weiterbildung der reformierten Pfarrerinnen und Pfarrer (A+W) und dem Bildungsportal für kirchliche Mitarbeitende. Geleitet wurde sie von Pfarrer Dr. Jacques-Antoine von Allmen, Beauftragter für die Weiterbildung, A+W und Dr. Stefan Jütte, Hochschulforum Zürich.

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