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Buchrezension: „Geheiligt werde dein Name. Christliche Gottesdienste zwischen Anbetung und Anbiederung“

Ostfildern/Deutschland | 31.08.2021 | APD | Buchrezensionen

Buchrezension: Reinhard Thöle: Geheiligt werde dein Name. Christliche Gottesdienste zwischen Anbetung und Anbiederung. Tectum Wissenschaftsverlag, 2021, 186 Seiten, Broschiert; 24,00 Euro, Ebook/Kindle: 24,00 Euro, 27,90 Franken; ISBN-10: ‎ 382884636X, ISBN-13: ‎ISBN 978-3-8288-4636-4

Die Feier des Gottesdienstes ist herausfordernd. Konfessionelle Exklusivität, geschichtliche Traditionen, Gegenwartsadaptionen, Amtsverständnis, Bedeutung und Nutzung von Architektur, Kunst und Musik sind diverser als je zuvor. „Zeige mir den Gottesdienst, den du feierst, und ich sage dir…welche Theologie du vertrittst“ (S. 3). Der emeritierte Professor für Ostkirchenkunde an der Theologischen Fakultät Halle-Wittenberg, Reinhard Thöle, wagt in seinem neuesten Buch einen vergleichenden Blick auf das Phänomen Gottesdienst der grossen christlichen Denominationen. Dabei vermischen sich seine scharfen Beobachtungen mit oftmals zynischen Kommentaren und verdichten sich zu einem skizzenartigen Psychogramm, das in den Tiefenschichten persönliche Tabus berührt.

Dabei steht der Umgang mit dem Ritual im Fokus seiner Beobachtungen. Viele Gottesdienste seien auf dem Weg zu Event-Service-Stationen zu werden, die dem postmodernen Menschen einen Neo-Eventritus anbieten. So seien einzelne Kirchengemeinden verschiedenster Denominationen auf dem besten Weg post-ekklesial zu werden und sich somit selbst abzuschaffen. Solch ein Gottesdienst habe sich selbst verharmlost und abgeschafft und interessiere nur das kirchliche Restmilieu, so die Ausführungen von Reinhart Thöle.

Eine christliche Liturgie, die die theophanische Dimension des Gottesdienstes übersieht, sei jedoch fehlgeleitet. Dabei sei das Abendmahl das Zentrum der Liturgie, auf das sie unaufhaltsam hinsteuert und ohne das der Gottesdienst nur noch als „Festhalten an Versatzstücken“ angesehen werden kann.

Moderne Gottesdienstformen mit einer Betonung der Aktion und Kommunikation zerstören demzufolge – ohne den Kultus des Heiligen Abendmahls – den „genuinen anthropologischen Anknüpfungspunkte des Glaubens“ (S. 169). Denn, so ist Thöle überzeugt, bleibt „[i]n der Tiefenschicht […] auch der evangelische Gottesdienst die westliche Opfermesse“ (S. 121).

Zum Inhalt
In verschiedenen auffallend ungleichlangen Kapiteln werden unterschiedliche Gottesdienstfeiern aufgeführt, und sogleich umfassend kritisiert. Thöle blickt sich kritisch in den drei grossen Denominationen des Katholizismus, des Protestantismus und der Orthodoxie um. Während der Katholizismus und vor allem die Orthodoxie noch vergleichsweise gut wegkommen und grösstenteils über Liturgiereformen und eine generelle Defensivität gewettert wird, wird über dem aktuellen Protestantismus praktisch das Todesurteil verhängt. Alle vorsichtige und aufgeklärte Annäherung an den säkularen Zeitgeist wie neue Gottesdienstordnungen, ein Placebo-Kirchenjahr oder eine Talkshoworientierung seien nutzlos und werden als Zeichen gesehen, dass „die evangelischen Kirchen einen liturgischen und theologischen Konsens des Sakramentalen verloren haben“ (S. 81).

Dabei steht das sogenannte Abendmahlsparadox im Zentrum der Kritik, das zwar die Wichtigkeit der Eucharistie theologisch anerkennt, doch in der gottesdienstlichen Praxis unterbewertet. Das nur gelegentlich stattfindende Abendmahl ist für ihn Zeichen einer theologischen Unsicherheit.

Die Predigt müsse dann all das leisten, „was durch den faktischen Wegfall des Sakraments fehlt“ (S. 130). So würden letztlich nur Eventgottesdienste gefördert, die eine gebrochene Identität zelebrieren, die blind, taub, gelähmt und aussätzig sei. Der bedeutungsvolle Gottesdienst werde aber nicht von Erklärungen getragen, sondern durch Riten vollzogen (S. 165).

Grosses Drama
Auch an Dramatik fehlt es nicht, im Gegenteil. Es wird von der „asymmetrischen Dialektik“ des Gottesdienstes und von dem „inneren Geheimnis“, in dem es „um Leben und Tod“ gehe, gesprochen (S. 166). Thöle betont wiederholt die „Gefährlichkeit“ des Gottesdienstes und vergleicht ihn mit einem Hochsicherheitslabor, in dem mit tödlichen Substanzen gearbeitet wird. Seine Schlussfolgerung: „Das schwierigste Werk der Kirche ist die Feier des heiligen Gottesdienstes… [d]er Gottesdienst ist die gefährlichste Aufgabe der Kirche in der Welt“ (S. 161). Infolge dessen ist Gottesdienst bei Thöhle keine fröhliche Feier von erlösten Gläubigen, sondern ganz im Gegenteil von todernster Seriosität gekennzeichnet. „[Der Mensch] kann durch seine eigenen Schwächen oder Ängste die gottesdienstliche Feier fast bis zur Unkenntlichkeit beschädigen oder sie fast bis zur Bedeutungslosigkeit marginalisieren“ (S. 162).

Zum Punkt
Die Kernfrage lautet: Welches Zentrum ist dem Gottesdienst eigen? Der Ritus oder die Verkündigung? Hier scheiden sich theologisch die Geister. Thöle positioniert sich ganz eindeutig. So müssen für ihn zwangsläufig die kommunikationsaktiven Formen moderner Gottesdienste hinter einer geschichtlich tradierten und ritualgetragenen Liturgie zurückbleiben, die alleinig dem Mysterium Gottes in der Heiligen Eucharistie gerecht wird. So klingt Thöle in weiten Strecken eher katholisch oder orthodox als evangelisch. Auch das dargestellte Amtsverständnis ist ebenfalls abweichend zum allgemein protestantischen, wenn er konstatiert: „Sein [Des Priesters] äusserer und innerer Platz ist am Altar“. Dazu passt, dass die Nichtbeachtung Marias als Gottesmutter im Protestantismus beklagt wird.

Für den Leser
Thöles Werk taucht ein in gottesdienstliche Welten und ist gespickt mit Polemik. Höchst unterhaltsam geschrieben mit scharfem Blick und scharfer Zunge erweist sich der Autor als Kenner der Szene. Thöle zieht seine Inspiration dabei zweifellos aus der Spiritualität des Ostkirchentums, das für seine mystische Liturgie bekannt ist. Das führt dazu, dass der typisch (frei-)evangelisch geprägte Leser zwar seinen Beobachtungen, jedoch nicht seinen Thesen und den daraus resultierenden Folgen unbedingt zustimmen kann. Für manche Christen steht die Freude über die Erlösung im Zentrum ihres Lebens und muss auch in der Gottesdienstfeier erfahrbar werden. Hier zeigt sich, dass die Theologie tatsächlich ausschlaggebend für die Gottesdienstgestaltung ist.
Claudia Mohr

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