Mord in Lübeck: Trauer um Arno Kuhn: "Mein Papa musste das machen!"

Hamburg, Deutschland | 25.08.2004 | APD | International

Mit einem Trauergottesdienst auf dem Friedhof Glashütte in Norderstedt bei Hamburg nahmen Ehefrau Carola (41) sowie die Kinder Nicole (27), André (15) und Lydia (13) am 20. August Abschied von ihrem Mann und Vater Arno Kuhn (53), der neun Tage zuvor von einem betrunkenen Autofahrer in Lübeck erschossen wurde. An jenem verhängnisvollen Donnerstag war der Ermordete von seinem Hamburger Wohnort Lemsahl-Mellingstedt mit dem Wagen zum Flughafen Blankensee in Lübeck unterwegs, um seine Tochter Nicole und deren schwedische Freundin zum Flugzeug nach Schweden zu bringen. Da sieht er, im Süden Lübecks angelangt, wie vor ihm ein rücksichtsloser Autofahrer zwei 13 und 14 Jahre alte Jungen auf ihren Fahrrädern von der Strasse drängt, so dass sie stürzen. Kuhn hält an, lässt Nicole aussteigen, damit sie sich um die Jugendlichen, von denen einer leicht verletzt ist, kümmern kann, fährt dem Drängler nach und versucht, ihn mit Lichtsignalen und Hupe zum Anhalten zu bewegen. Das gelingt nach wenigen hundert Metern. Es kommt zu einem Wortwechsel. Der polnische Erntehelfer Adam K. (41) geht zu dem von ihm gestohlenen Fahrzeug und holt einen ebenfalls entwendeten Revolver. Arno Kuhn kann mit seinem Handy noch die Polizei anrufen und mitteilen: "Ich werde bedroht!" Dann bricht er, tödlich getroffen, zusammen und stirbt wenig später in der Lübecker Uni-Klinik. Der Täter flüchtet, wird nach einer halbstündigen Verfolgungsjagd von der Polizei gestellt und ins Untersuchungsgefängnis Lübeck eingeliefert.

Mit den Hinterbliebenen trauern über 300 Menschen - Verwandte, Freunde, Arbeitskollegen und Mitglieder der Siebenten-Tags-Adventisten - die ebenfalls zur Beisetzung gekommen waren. Die Trauerrede hielt Pastor i.R. Reinhard Rupp (Halstenbek), der bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2002 Präsident des Norddeutschen Verbandes der Adventisten und ein langjähriger Freund des Verstorbenen war.

Rupp gab zunächst einen Einblick in das Leben von Arno Kuhn der sich mit 16 Jahren den Siebenten-Tags-Adventisten anschloss und in seiner Geburtsstadt Bremen eine Elektromechanikerlehre absolvierte. Danach studierte er am damaligen Theologischen Seminar Marienhöhe der Freikirche in Darmstadt. Von 1976 bis 1978 war er Pastor der Adventgemeinde Hamburg-Barmbek. Das Scheitern seiner ersten Ehe war für ihn der Grund, seine hauptamtliche Seelsorgetätigkeit aufzugeben. Er wurde Diplom-Ingenieur und arbeitete in der Informationstechnik. Seine vielseitigen Fähigkeiten stellte er aber weiterhin ehrenamtlich in den Dienst der Barmbeker Adventgemeinde. Er predigte im Gottesdienst, hielt Jugendstunden, half bei der Technik im Gemeindezentrum und gab Bibelstunden in einer spanischsprachigen Adventistengemeinde.

"Für Arno Kuhn war Jesus Christus Leitbild seines Lebens", so Rupp. "Deshalb wollte er nicht feige wegsehen. "Er habe sich aus Sorge um zwei Jugendliche, und um weiteres Unheil zu verhindern, eingemischt. Nachdem sein Sohn André die Todesnachricht und das tragische Geschehen erfasst hatte, sei seine erste Reaktion gewesen: "Mein Papa musste das machen! Er war einfach so." Es liege kein Sinn in dieser mörderischen Tat, betonte Pastor Rupp. "Ausser dem, jeder Gewalt abzusagen, ob im zwischenmenschlichen Verhalten oder im Verhältnis der Völker, denn jede Gewalttat zieht eine neue nach sich." Arno Kuhn würde diesen Kreislauf durchbrechen, indem er dem Mann vergeben hätte, der sein Leben auslöschte. Davon ist Rupp überzeugt. Wie Jesus Christus habe auch der Ermordete gewusst: "Der Tod verliert viel von seiner Schwere durch den Glauben an die Auferstehung. Der Tod kann keinen endgültigen Schlussstrich unter ein Leben ziehen."

Am Grab sprach auch der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen Hamburg (ACKH), Superintendent Karsten W. Mohr, und brachte im Namen der ACKH seine Betroffenheit und sein Beileid zum Ausdruck. "Jeder, der sich wie Arno Kuhn für Gerechtigkeit, den Schutz der Schwächeren und gegen Gewalt einsetzt, leidet mit seiner Familie, seinen Freunden und seinen Glaubensangehörigen."

Bereits zwei Tage nach der Bluttat gedachte die Adventgemeinde Lübeck in ihrem Sabbatgottesdienst der Angehörigen und betete für sie. Am Samstagabend fand in der evangelischen Georg-Kirche in Genin, dem Stadtteil, wo das Verbrechen geschah, ein Gedenkgottesdienst unter Leitung von Bischöfin Bärbel Wartenberg-Potter und dem Pastor der Lübecker Adventisten, Gerhard Menn, statt. Die Bischöfin warnte vor fremdenfeindlichen Schlussfolgerungen und forderte Mitmenschlichkeit, Zivilcourage und Ehrfurcht vor Gott. "Der Tod wird einen Sinn haben, wenn er uns befähigt, gegen die Gewalt konsequent den Weg der Gewaltlosigkeit zu gehen." Sie sprach den Angehörigen und den Adventisten ihr Beileid aus. Pastor Menn fügte hinzu, dass leider erst Trauer und Leid die Christen der Stadt zusammenführten. Er erinnerte an Arno Kuhn als ein Licht, das in der Welt geleuchtet und der auf vielfache Weise Menschen auf den Erlöser Jesus Christus aufmerksam gemacht habe.

Am gleichen Samstagvormittag fand auch in der Adventgemeinde Hamburg-Barmbek ein Gedenkgottesdienst statt. Der Vorsteher der Siebenten-Tags-Adventisten in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, Pastor Heinz-Ewald Gattmann, betonten, dass der ermordete Arno Kuhn sich selbst bis zu seinem letzten Atemzug treu geblieben sei. Er habe nicht weggeschaut, sondern Verantwortung für zwei ihm unbekannte Jungen übernommen, denen Schaden zugefügt worden sei. "Das tat er nicht nur aus Zivilcourage, sondern weil er bis in die tiefsten Fasern seines Herzens Christ war. Für Arno Kuhn waren tätige Nächstenliebe und der Einsatz für den Schwachen etwas Selbstverständliches." Er selbst würde sich deshalb auch kaum als Held verstanden haben, als er seinem späteren Mörder hinterher fuhr. Vizekonsul Jerzy Kaczmarek sprach in Vertretung des polnischen Generalkonsuls Andrzej Kremer den Angehörigen sein Beileid über die Bluttat aus, die einer seiner Landsleute begangen habe. Er bat im Namen seiner Regierung die Witwe des Ermordeten um Vergebung.

Das Advent-Wohlfahrtswerk (AWW) der Siebenten-Tags-Adventisten hat ein Spendenkonto für die Hinterbliebenen eingerichtet, um sie wenigstens finanziell abzusichern. Spenden können unter dem Stichwort "Arno Kuhn" auf das Konto des AWW 74 10 500 bei der Sozialbank Hannover (BLZ 251 205 10) eingezahlt werden. Carola Kuhn und ihre Kinder werden von einem adventistischen Pastor und von der Opferschutzorganisation "Weisser Ring" seelsorgerlich und psychologisch betreut. Die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen Hamburg plant für den 30. August einen Gedenkgottesdienst zum Thema "Gewalt".

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