Anklage gegen Nachfahren der "Bounty"-Meuterer wegen Sexualvergehen

Adamstown/Pitcairn, Angwin/USA | 19.10.2004 | APD | International

Insgesamt sieben der zwölf auf der abgelegenen Pazifikinsel Pitcairn lebenden erwachsenen Männer müssen sich vor Gericht wegen sexuellen Missbrauchs und der Vergewaltigung Minderjähriger in 55 Fällen verantworten, die bis zu 40 Jahre zurückreichen. Vom Ausgang des Verfahrens hängt die Zukunft der 47 Insulaner, ab, die Nachfahren der Meuterer des britischen Kriegsschiffes "Bounty" sind. Für den Prozess schiffte Grossbritannien Richter, Polizisten, Staatsanwälte, Verteidiger, Gerichtsbedienste, Gefängnisbauteile und ein halbes Dutzend Journalisten auf die nur 4,3 Quadratkilometer grosse, auf halber Strecke zwischen Neuseeland und Peru liegende Vulkaninsel ein. Sie mussten von Neuseeland per Flugzeug zunächst nach Französisch-Polynesien reisen, wo ein gechartertes Schiff die Gruppe in 36 Stunden nach Pitcairn brachte. Ehemalige Bewohner der Insel werden per Videoübertragung aus Neuseeland während des Gerichtsverfahrens als Zeugen zugeschaltet.

Der Fall kam ins Rollen, als 1999 eine britische Polizistin aus Kent nach Pitcairn entsandt wurde, um die Bürger in öffentlicher Ordnung zu unterrichten. Ihr gegenüber berichtete eine Inselbewohnerin über sexuellen Missbrauch. Seitdem wurden wiederholt Polizisten und Sozialarbeiter auf das Eiland geschickt. Das Verfahren wird nach britischem Recht durchgeführt. Danach sind sexuelle Handlungen mit unter 16-Jährigen strafbar. Die Inselbewohner berufen sich dagegen auf eine eigene, lange Tradition, die Sex mit Minderjährigen erlaube. Ausserdem behaupten sie, dass sie als Nachfahren der "Bounty"-Meuterer nicht dem britischen Recht unterstünden. Die Verteidiger der sieben angeklagten Pitcairner dürfen deswegen das höchste britische Appellationsgericht anrufen und dort das Verfahren in Frage stellen. Sollten die Männer zu Gefängnisstrafen verurteilt werden, ist das Überleben der Inselbevölkerung gefährdet. Pitcairn besitzt weder einen Flugplatz noch einen Hafen. Ohne jene Männer können die Langboote nicht mehr gesteuert werden, die Güter von vorbeifahrenden Schiffen an Land holen.

Am 15. Januar 1790 landete Fletcher Christian als Anführer der Meuterer auf der "Bounty" mit acht weiteren Rebellen, sechs tahitianischen Männern, zwölf polynesischen Frauen und einem Kind auf der abgelegenen Felseninsel, um vor der britischen Marine Schutz zu suchen. Blutigen Rivalitäten fielen alle sechs Tahitianer und fünf Meuterer, darunter auch Christian, zum Opfer. Im Jahr 1800 war nur noch John Adams mit zehn Frauen und 23 Kindern übrig geblieben. Seit 1887 ist Pitcairn britische Kronkolonie.

Laut Herbert Ford, Direktor des Pitcairn Studienzentrums (Pitcairn Islands Study Center) am adventistischen Pacific Union College in Angwin, Kalifornien/USA, verbrachte 1888 der adventistische Missionar John I. Tay fünf Wochen auf der Insel. Zwei Jahre später liessen sich 82 erwachsene Insulaner taufen und schlossen sich den Siebenten-Tags-Adventisten an. Seit 1960 wäre jedoch der Einfluss der Freikirche auf die Pitcairner auch durch Auswanderung ständig zurückgegangen. Alle zwei Jahre sei ein neuer adventistischer Pastor von Australien oder Neuseeland aus auf die abgelegene Insel als Seelsorger gesandt worden. Die Ehefrau des Pastors sei stets eine ausgebildete Krankenschwester gewesen, um bei Krankheiten den Bewohnern des abgelegenen Eilandes erste Hilfe leisten zu können. Es hätte aber auch Zeiten ohne einen Geistlichen auf der Insel gegeben. 1994 habe einer von ihnen berichtet, dass nur noch etwa 20 Insulaner regelmässig den Gottesdienst besuchen würden. Alkohol, pornographische Videofilme, Satellitenfernsehen und der Einfluss der vor Pitcairn haltenden Passagierschiffe hätten das Interesse der Bewohner an religiösen Dingen und ihre Moral untergraben. Heute würden, so Ford, nur noch acht Pitcairner den Gottesdienst besuchen, so dass von einem Einfluss der Freikirche auf die Inselbewohner nicht mehr gesprochen werden könne.

Der adventistische Pastor Ray Coombe, der mit seiner Frau von Australien aus während des Prozesses als Seelsorger nach Pitcairn gesandt wurde, sagte gegenüber Journalisten, dass die Freikirche keinerlei Kenntnisse über sexuellen Missbrauch auf der Insel gehabt habe. Keiner der auf dem Eiland lebenden Geistlichen habe jemals über derartiges berichtet. Erst durch das Untersuchungsprotokoll der britischen Polizistin aus Kent sei die Kirchenleitung darauf aufmerksam gemacht worden. Die Generalkonferenz (Weltkirchenleitung) der Siebenten-Tags-Adventisten habe sexuellen Missbrauch und Vergewaltigung eindeutig verurteilt; so zuletzt 1997 in der "Erklärung zum sexuellen Missbrauch von Kindern" und 1996 in der Stellungnahme "Gewalt in der Familie". Aus ihnen ginge klar hervor, "dass ein solches Verhalten die christlichen Grundregeln der Siebenten-Tags-Adventisten verletzt. Jegliches Anzeichen oder jede Erwähnung eines Missbrauchs darf nicht verharmlost werden, sondern muss ernstlich geprüft werden."

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