Neue Vision für die ökumenische Bewegung im 21. Jahrhundert?

Genf/Schweiz | 28.11.2004 | APD | Ökumene

Auf Einladung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) diskutieren vom 30. November bis 3. Dezember in Genf internationale ökumenische Organisationen, nationale Kirchenräte, kirchennahe Werke und Einrichtungen sowie ökumenische Gemeinschaften aus aller Welt darüber, welchen Weg die ökumenische Bewegung im 21. Jahrhundert gehen soll. Rund 80 Teilnehmende, von denen etwa die Hälfte aus Mitgliedskirchen des ÖRK kommt, werden ökumenische Perspektiven aus ihrem eigenen Kontext einbringen und nach wirksameren Formen kirchlicher Zusammenarbeit in einem sich ständig verändernden Umfeld suchen. Die Konferenz wird eine Erklärung ausarbeiten, die eine Vision für die zukünftige Zusammenarbeit zwischen den Kirchen und Organisationen in der ökumenischen Bewegung entwerfen und Schlussfolgerungen und Empfehlungen aussprechen soll.

Der ÖRK-Vorsitzende Katholikos Aram I., von der Armenischen Apostolischen Kirche, meinte im Hinblick auf die Genfer Konferenz: "Die ökumenische Bewegung liegt ganz in Gottes Hand... Dies ist eine Zeit kritischer Überlegungen und Erkenntnis, eine Zeit, zu beten und zu hören, was der Heilige Geist uns sagt."

Über Jahre hinweg hatte sich der Weltkirchenrat in Zusammenarbeit mit einer Reihe ökumenischer Organisationen bemüht, die wichtigsten Bereiche abzugrenzen, in denen Veränderungen eintreten müssen, damit eine "Neugestaltung" oder Erneuerung der Vision und der Struktur der vom ÖRK ausgehenden ökumenischen Bewegung möglich wird. Die Ergebnisse der Genfer Tagung werden in einen Bericht über die Neugestaltung der ökumenischen Bewegung eingearbeitet, der 2005 an den ÖRK-Zentralausschuss und gegebenenfalls auch an die 9. Vollversammlung des ÖRK im Jahr 2006 in Porto Alegre (Brasilien) weitergeleitet werden soll.

Anlässlich der ersten ÖRK-Konsultation zum Thema "Neugestaltung der ökumenischen Bewegung", die im November 2003 in der libanesischen Stadt Antelias stattfand, meinte der damalige ÖRK-Generalsekretär Dr. Konrad Raiser der "Erfolg" der Ökumene habe dazu geführt, dass viele Kirchen die ökumenische Vision in ihr Selbstverständnis integriert hätten. Andererseits stellte er damals bereits fest, dass der Denominationalismus wachse - Kirchen bemühten sich, ihr eigenes institutionelles Profil zu verstärken, eine bessere Sichtbarkeit und ein grösseres Engagement zu erreichen, um in einer von Konkurrenz bestimmten Zivilgesellschaft finanzielle Unterstützung zu finden.

Die ökumenische Vision, die die Bewegung von den Anfängen bis heute verbinde, habe nicht mehr die Kraft, vor allem junge Menschen zu begeistern und in Bewegung zu bringen, sagte Raiser. Ausserdem fehle die Klammer zwischen den derzeitigen Strukturen und den lebendigen ökumenischen Basisinitiativen - beispielsweise der Bewegung der konfessionsverbindenden Familien, ökumenischen Projekten vor Ort und ökumenischen Gemeinschaften.

Die Zukunft der ökumenischen Bewegung könne nicht den verfassten Kirchen allein überlassen bleiben, betonte der deutsche Theologe. Der ÖRK müsse auch andere Träger der ökumenischen Bewegung wie Entwicklungsdienste, Missionsgesellschaften aber auch Pfingstkirchen und evangelikale Bewegungen miteinander ins Gespräch bringen.

Seit Gründung des Ökumenischen Rates 1948 haben sich die Verhältnisse für die christlichen Kirchen stark verändert, so Dr. Bert B. Beach, Direktor des Rates für zwischenkirchliche Beziehungen der Weltkirchenleitung der Adventisten. Besonders in der südlichen Hemisphäre sei die Christenheit gewachsen, und viele der historischen Kirchen in Europa und Nordamerika sähen sich ständig schrumpfenden Mitgliederzahlen gegenüber. Gemeindewachstum finde heute vor allem in Freikirchen, etwa bei den konservativen Evangelikalen, den Pfingstgemeinden und den Siebenten-Tags-Adventisten statt. Diese Kirchen neigten im Allgemeinen zu einer eher vorsichtigen oder gar ablehnenden Haltung gegenüber der ökumenischen Bewegung, sagte der adventistische Ökumeneexperte.

Zu Beginn des neuen Jahrtausends sei immer deutlicher geworden, dass wachsender Fundamentalismus oder Extremismus die Kräfte sind, mit denen zu rechnen sein werde. In gewisser Hinsicht sei dies eine Reaktion auf Ökumene und Säkularisation. Fundamentalismus sei gefährlich für die religiöse Freiheit, weil seine Eiferer nicht nur sicher seien, die Wahrheit zu besitzen, sondern sich auch verpflichtet fühlten, sie anderen aufzudrängen, analysierte Beach gegenüber dem Adventistischen Pressedienst APD.

Ein weiterer zeitgenössischer Trend sei der Nationalismus. Beach: "Und wenn sich Nationalismus und religiöser Fundamentalismus verbinden – wie es heute bereits in zahlreichen Ländern der Fall ist –, dann entsteht ein explosives Gemisch, das sich auf Religionsfreiheit und Ökumene schädlich, wenn nicht sogar destruktiv auswirken kann. Tatsächlich existiere in bestimmten Teilen der Welt die reale Gefahr nicht nur ethnischer, sondern auch religiöser 'Säuberungen'".

(4982 Zeichen)
© Nachrichtenagentur APD Basel (Schweiz) und Ostfildern (Deutschland). Kostenlose Textnutzung nur unter der Bedingung der eindeutigen Quellenangabe "APD". Das © Copyright an den Agenturtexten verbleibt auch nach ihrer Veröffentlichung bei der Nachrichtenagentur APD. APD® ist die rechtlich geschützte Abkürzung des Adventistischen Pressedienstes.