Protestanten zur Papstwahl: Freude und Skepsis

Rom/Hannover/München/Genf | 20.04.2005 | idea D | International

Bischöfe wollen mehr Ökumene – Evangelikale sehen Übereinstimmungen

Weithin mit Freude, teilweise aber auch mit Zurückhaltung und Kritik haben führende Repräsentanten der evangelischen Kirchen, der Evangelikalen und der Lebensrechtsbewegung auf die Wahl Joseph Kardinal Ratzingers zum Papst Benedikt XVI. reagiert. Der 78jährige, der am 19. April die Nachfolge des verstorbenen Papstes Johannes Paul II. antrat, ist seit fast 500 Jahren der erste Deutsche an der Spitze der römisch-katholischen Kirche.

Eine Reihe evangelischer Bischöfe und Kirchenpräsidenten äusserten die Erwartung, dass der neue Pontifex (Brückenbauer) der Ökumene neue Impulse verleihe und Reformen anstosse. Teilweise wurden auch kritische Töne laut, etwa hinsichtlich seiner Haltung zur Rolle der Frau in der Kirche. Verantwortliche der evangelikalen Bewegung sehen eine Reihe von Übereinstimmungen in ethischen und theologischen Fragen mit dem neuen Papst, weisen aber zugleich auf deutliche Unterschiede in einigen Lehrfragen hin. Der EKD-Ratsvorsitzende, Bischof Wolfgang Huber (Berlin), erklärte, mit Ratzinger sei ein Kirchenmann zum Papst gewählt worden, der klares theologisches Profil gezeigt habe und das ökumenische Gespräch im Land der Reformation gut kenne. Die Zukunft der Christenheit könne nur ökumenisch sein; allerdings gehe es nicht um eine Einheitsökumene. Huber brachte auch die Hoffnung auf ein gemeinsames Abendmahl zum Ausdruck. Dies setze voraus, wechselseitig die kirchlichen Ämter bei bleibenden Unterschieden anzuerkennen und zu respektieren, so Huber in einer von der EKD-Pressestelle in Hannover veröffentlichten Stellungnahme.

VELKD: Neue Türen zueinander aufstossen

Der Leitende Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD), Hans Christian Knuth (Schleswig), wünschte dem neuen Papst Gottes Segen bei der Aufgabe, „die Ausbreitung des Evangeliums in aller Welt vor allem anderen zu fördern“. Im Blick auf die Ökumene erklärte Knuth: „Möge seinem Dienst an der Einheit gelingen, in geschwisterlicher Weise neue Türen zueinander aufzustossen.“ Der Bischof erinnerte dankbar an den Einsatz Ratzingers für das Zustandekommen der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“, die 1999 feierlich bestätigt wurde. Der Catholica-Beauftragte der VELKD, der bayerische Landesbischof Johannes Friedrich (München), begrüsste ebenfalls die Entscheidung: „Wir in Deutschland haben wirklich allen Grund, auf diese Wahl stolz zu sein.“ Friedrich hegt die „grosse Hoffnung“, dass der neue Papst „Orthodoxe, Anglikaner und evangelische Kirchen mit auf den Weg nimmt und sie nicht ausgrenzt oder entwertet“. Der hessen-nassauische Kirchenpräsident Peter Steinacker (Darmstadt) lobte die Namenswahl des Papstes: „Mit dem Namen Benedikt (Lateinisch: Der Gesegnete) bekennt der neue Papst, wie sehr seine Existenz auf Gottes gnädiger Zuwendung basiert.“

Westfälischer Präses dämpft ökumenische Erwartungen

Keine „allzu grossen Erwartungen“ hinsichtlich einer stärkeren ökumenischen Öffnung der katholischen Kirche gegenüber dem Protestantismus hat der Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Alfred Buss (Bielefeld). Er bezweifelt, dass Benedikt XVI. Lehrentscheidungen wie die Abstufung der evangelischen Kirche zur „kirchlichen Gemeinschaft“ revidieren wird. Nach Ansicht des rheinischen Präses Nikolaus Schneider (Düsseldorf) sind auf dem Weg, kirchliche Trennungen zu überwinden, noch „dicke Bretter zu bohren“. Nicht akzeptabel sei nach evangelischem Verständnis der päpstliche Machtanspruch.

Bischof Noack hoffte auf einen Papst aus Afrika oder Lateinamerika

Der Bischof der Kirchenprovinz Sachsen, Axel Noack (Magdeburg), erklärte, er freue sich mit den Katholiken, „ohne deshalb in Euphorie zu verfallen“. Er bedauere, dass „die erforderliche Mehrheit für einen Papst aus Afrika oder Lateinamerika noch nicht zu haben war“. Sein thüringischer Kollege Christoph Kähler (Eisenach) wünscht sich, dass Benedikt XVI. stärker als sein Vorgänger andere Kirchen zur Kenntnis nehme und gelten lasse. Kähler – auch stellvertretender EKD-Ratsvorsitzender - plädiert ferner für eine aktive Einbeziehung von Frauen und Laien bei der Gestaltung von Gottesdiensten in der katholischen Kirche.

Stärkere Rolle der Frau? - Bischöfin Kässmann ist skeptisch

Die hannoversche Landesbischöfin Margot Kässmann äusserte sich skeptisch, dass „Rom“ die Rolle der Frauen stärkt: „Gerade mit Blick auf die Schwangerschaftskonfliktberatung, Geburtenregelung, Frauen im Amt hat sich Kardinal Ratzinger nicht offen gezeigt.“ Österreichs evangelisch-lutherischer Bischof Herwig Sturm reagierte „enttäuscht“ auf die Papstwahl. Er sieht in Ratzinger keinen Aufbruch, sondern die „Fortführung des uns bei ihm bekannten Kurses, die römisch-katholischen Dogmen festzuschreiben und deutliche Grenzen nach aussen zu ziehen“. Der Generalsekretär des Weltkirchenrats, Samuel Kobia (Genf), hofft, dass das anbrechende Pontifikat gekennzeichnet sein werde vom „Geist der ökumenischen Offenheit“ des zweiten Vatikanischen Konzils. Man brauche einen Dialog „in Liebe und Wahrheit“ – einen „Dialog der Bekehrung“. Das Konfessionskundliche Institut des Evangelischen Bundes (Bensheim) schrieb in einer Stellungnahme, mit Ratzinger sei erstmals ein gründlicher Kenner der reformatorischen Theologie auf den Stuhl Petri gelangt. Wie Johannes Paul II. werde er vor konkreten ökumenischen Schritten „auf kompromissloser theologischer Klärung“ bestehen.

Deutsche Evangelische Allianz: Kein Grund für Berührungsängste

Weithin positiv ist das Echo in den evangelikalen Reihen. Der Vorsitzende der Deutschen Evangelischen Allianz, Präses Peter Strauch (Witten), warnte davor, voreilig Urteile über den neuen Papst zu fällen. Man müsse zunächst abwarten, welche Schwerpunkte er setze. Zwar gebe es vieles, was Evangelische Allianz und katholische Kirche trenne, vor allem in der Lehre von der Kirche, was nicht verschleiert werden dürfe. Dennoch gelte es, das Verbindende zu suchen. „Für Berührungsängste gibt es keinen Grund.“ Gemeinsamkeiten bestünden etwa beim Eintreten für den Lebensschutz und beim Bekenntnis zu Jesus Christus. Nach Ansicht von Pfarrer Christoph Morgner (Siegen) – Präses des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes (Vereinigung Landeskirchlicher Gemeinschaften) – steht Ratzinger für christliche Werte ein, die auch den Evangelikalen am Herzen liegen - „für eine umfassende Kultur des Lebens angesichts zahlloser Schwangerschaftsabbrüche, gegen praktizierte Homosexualität“. Der neue Papst scheue nicht den Gegenwind des Zeitgeistes. Morgner hofft, dass Benedikt XVI. den Evangelikalen „in Augenhöhe begegnet“. Das erfordere die Anerkennung der evangelischen Ordination und der evangelischen Kirche als gleichwertig.

Bekennende Gemeinschaften: „Grosse Schnittmenge“ mit Ratzinger

Der Vorsitzende der Konferenz Bekennender Gemeinschaften in den evangelischen Kirchen Deutschlands, Pastor Ulrich Rüss (Hamburg), sagte gegenüber idea: „Die Wahl Ratzingers ist für konservative evangelische Christen eher eine Freude als ein Verdruss.“ Bei allen konfessionellen Unterschieden bestehe eine „grosse Schnittmenge“ in elementaren Glaubensgrundlagen, etwa der Einzigartigkeit Jesu Christi und beim Thema Mission. Rüss plädierte dafür, dem Papst mit Offenheit zu begegnen: „Man darf ihn nicht abwerten, bevor man ihn kennengelernt hat.“ Der langjährige Präsident des Theologischen Konvents der Konferenz Bekennender Gemeinschaften, Prof. Peter Beyerhaus (Gomaringen bei Tübingen), sieht ein „beachtliches Mass innerer Gleichgestimmtheit“ zwischen dem Papst und bekennenden Christen auf evangelischer Seite. Beyerhaus bescheinigt Ratzinger, den er seit den sechziger Jahren kennt, „charakterliche Integrität, menschliche Liebenswürdigkeit und Bescheidenheit“.

Lebensrechtler: Unerschrockener Anwalt für Lebensschutz und Familie

Auch Abtreibungsgegner begrüssen die Wahl Ratzingers zum Papst: „In ihm finden wir einen unerschrockenen Anwalt für die Kultur des Lebens und der Familie“, so die Vorsitzende der Stiftung „Ja zum Leben“, Johanna Gräfin von Westphalen (Meschede). Sein klares Bekenntnis zum Schutz allen menschlichen Lebens stärke die Zuversicht, dass wieder „ein entschiedenes Ja zum Leben in allen seinen Phasen“ die bestimmende Wirklichkeit in Deutschland werde.

(C) 2005 Evangelische Nachrichtenagentur idea, Wetzlar

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