Vatikan will umstrittene Papst-Rede in islamischen Staaten erklären

Rom/Ankara | 18.09.2006 | ORF/APD | Ökumene

Angesichts der Empörung über Äusserungen von Papst Benedikt XVI. hat der Vatikan eine diplomatische Initiative in der islamischen Welt angekündigt.

Die Vatikan-Botschafter in den islamisch geprägten Ländern seien angewiesen worden, den Text der Papst-Rede bekannt zu machen und die "bisher nicht beachteten Elemente hervorzuheben", sagte Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone in einem Interview mit der italienischen Tageszeitung "Corriere della Sera".

Bisher sei der Vatikan das Opfer einer "schweren Manipulation" des Textes geworden. Dieser sei so abgeändert worden, dass er nicht mehr den Absichten des Papstes entsprochen habe. "Ich hoffe, dass der Dialog mit dem Islam in Sinne der Absichten des Papstes und der Kirche wieder aufgenommen wird", sagte Bertone weiter.

Er glaube weiterhin, dass Benedikt XVI. Ende November wie geplant in die Türkei reisen werde. Am Dienstag sollte ein erstes Treffen der türkischen Bischofskonferenz stattfinden, um Einzelheiten des Programms zu klären.

Der Papst hatte bei einem Vortrag in Regensburg unter anderem die Äusserung eines byzantinischen Kaisers zitiert, der Begründer des Islams, Mohammed, habe "nur Schlechtes und Inhumanes" in die Welt gebracht.

Dies rief in der moslemischen Welt heftige Proteste hervor. Am Sonntag bekundete er erstmals persönlich Bedauern über seine missverständlichen Äusserungen.

Dialog im Sinne des Papstes

Er hoffe, "dass der Dialog mit dem Islam in Sinne der Absichten des Papstes und der Kirche wieder aufgenommen wird", sagte Bertone weiter. Der vatikanische Staatssekretär gab zu, dass er sein Amt in einer turbulenten Phase übernommen habe. "Ich bin sofort in einen Sturm geraten (...). Ich vertraue in zwei Ressourcen: Die spirituelle Kraft von Papst Benedikt XVI. und das Gebet, mit dem die ganze Kirche ihn unterstützt", sagte der Staatssekretär.

Die Türkei sieht nach den Worten von Aussenminister Abdullah Gül keinen Grund, den für Ende November vorgesehenen Besuch von Papst Benedikt XVI. abzusagen. "Auf unserer Seite kann derzeit von Änderungen keine Rede sein", sagte Gül am 17. September vor Journalisten in Ankara. Zugleich bekräftigte Gül aber die türkische Kritik an den Äusserungen des Papstes zum Propheten Mohammed und zum Islam. Die Bemerkungen seien "unglücklich" gewesen, meinte Gül.

In der türkischen Presse waren am 17. September die Feststellungen des neuen Kardinal-Staatssekretärs Tarcisio Bertone zur Auseinandersetzung um die Regensburger Äusserungen von Benedikt XVI. vielfach als "unzureichend" bewertet worden; die islamische Welt warte immer noch auf eine formelle Entschuldigung des Papstes, hiess es in den Kommentaren. In Regierungskreisen hiess es aber, die Visite des Papstes sei sogar eine "gute Chance", nach dem Karikaturenstreit und der Aufregung über die umstrittenen Worte des Papstes das Verhältnis zwischen der christlichen und islamischen Welt auf eine neue Grundlage zu stellen.

Das Establishment in Ankara will den Streit über die Äusserungen von Papst Benedikt XVI. aber offensichtlich als Gelegenheit nutzen, um eine neue Initiative zum interkulturellen Dialog zu starten. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan übte am Wochenende zwar scharfe Kritik am Papst, betonte aber zugleich, die Türkei wolle verhindern, dass "ein Schatten auf den Dialog zwischen den Kulturen und Religionen fällt".

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im türkischen Parlament, Mehmet Dülger, sagte: "Der Papst hat sich entschuldigt, und das muss man akzeptieren". Auch ein Papst habe das Recht, Fehler zu begehen. Dülger sagte, er sehe nun keine Probleme mehr für den Papst-Besuch.

Erdogans islamisch geprägte Regierung verfolgt offenbar eine zweigleisige Taktik. Einerseits kritisiert sie, vor allem mit Rücksicht auf ihre religiösen Anhänger, die Äusserungen des Papstes. Andererseits achtet sie aber darauf, dass die Reaktionen nicht aus dem Ruder laufen.

Regierungsvertreter sagten, die Türkei habe in den letzten Tagen wesentlich gemässigter reagiert als andere muslimisch dominierte Staaten. Bis Ende November sei noch genug Zeit, um die Gemüter zu beruhigen. Der Besuch des Papstes sei nicht gefährdet, auch wenn es im November möglicherweise einige Demonstrationen gegen den Papst geben werde.

"Rede nicht gelesen"

Inzwischen hat der Chef des staatlichen Religionsamtes in Ankara ("Diyanet"), Ali Bardakoglu, eingeräumt, die umstrittene Rede von Papst Benedikt XVI. nicht vollständig gelesen zu haben. Seine scharfe Kritik am Papst habe er auf der Basis von Pressemeldungen über die Äusserungen von Benedikt XVI. formuliert, sagte Bardakoglu der Zeitung "Hürriyet" vom 17. September. Nun werde er sich den vollständigen Text aus dem Deutschen übersetzen lassen.

Der "Hürriyet"-Kolumnist Mehmet Yilmaz warf Bardakoglu deshalb Nachlässigkeit vor und kritisierte auch die scharfen Reaktionen in anderen Teilen der islamischen Welt. Bardakoglu hatte in den vergangenen Tagen eine Entschuldigung vom Papst verlangt und dem Oberhaupt der katholischen Kirche eine "Kreuzfahrermentalität" vorgeworfen. Yilmaz kritisierte, wenn Bardakoglu den gesamten Redetext gekannt hätte, wäre ihm klar geworden, dass sich der Papst von den Zitaten aus dem Mittelalter distanziert habe. "Es kommt mir so vor, als ob niemand von jenen in der islamischen Welt, die den Papst wegen seiner Rede attackieren, die Papst-Rede auch gelesen haben", schrieb Yilmaz.

Bardakoglu zieht zurück

Am 17. September begrüsste Ali Bardakoglu die vatikanischen Klarstellungen zu den Papstäusserungen über den Islam. Der Papst habe sich entschuldigt; das entspreche "der Verantwortung eines Kirchenoberhaupts, dessen Rolle es ist, für Verständnis zwischen den Religionen zu werben", sagte Bardakoglu der "Welt am Sonntag". Zugleich betonte er, dass der Islam Gewalt als Mittel der Glaubensverbreitung ablehne. "Es gibt im Islam weder eine Lehre, die Gewalt als ein legitimes Mittel sieht, Menschen zu bekehren, noch gibt es in der islamischen Geschichte ein solches Beispiel", meinte der Sektionschef, der die Verantwortung für das "Diyanet" trägt.

"Zivilisierte Haltung"

In einem Gespräch mit "Spiegel-Online" sagte Bardakoglu, das von Kardinal Bertone ausgedrückte Bedauern des Vatikans über die umstrittenen Papst-Worte zum Islam sei "zu begrüssen". Wörtlich betonte der Sektionschef: "Der Papst sagt, dass er den Islam achtet und die Gefühle der Muslime nicht verletzen wolle. Für mich ist dies eine zivilisierte Haltung". Bardakoglu betonte, dass das Bedauern des Papstes ein Zeichen seiner Bereitschaft sei, für den Frieden in der Welt zu arbeiten: "Wir Religionsführer müssen bei Bedarf unsere Fehler eingestehen und den Menschen überall als gutes Vorbild dienen."

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