"Nur Bürger zweiter Klasse" - Orthodoxer Patriarch beklagt Diskriminierung der Christen in der Türkei

Istanbul/Türkei | 20.11.2006 | APD | Religion + Staat

Bei einem Empfang von Journalisten aus Österreich, Deutschland und der Schweiz in seinem Amtssitz in Istanbul wies der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios I., auf die Probleme hin, mit denen nicht-moslemische religiöse Minderheiten in der Türkei kämpfen müssen. Beim bevorstehenden Besuch von Papst Benedikt XVI. in der Türkei „wird es sich nicht vermeiden lassen, auch über die Probleme der Minderheiten sowie über die religiöse Freiheit und die Menschenrechte hier im Lande zu sprechen“, betonte das griechisch-orthodoxe Kirchenoberhaupt.

Dass sich die türkische Regierung in der Behandlung der griechisch-orthodoxen Kirche auf die Diskriminierung der in Teilen Griechenlands lebenden Muslime berufe, wolle der Ökumenische Patriarch nicht gelten lassen. "Das ist ungerecht, denn wir sind Bürger dieses Landes." Er und seine Priester kämen ihren Pflichten als Staatsbürger der Türkei nach, unterstrich der Kirchenführer. "Wir leisten Militärdienst, zahlen Steuern, gehen zur Wahl – aber gleiche Rechte haben wir nicht." Bartholomaios wörtlich: "Wir sind Bürger zweiter Klasse!"

Der Patriarch wies auch auf die Situation des Dreifaltigkeitsklosters auf der Insel Chalki (Heybeliada) hin, das einst Sitz der international berühmten Theologischen Hochschule des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel war. Von 1844 bis 1971 wurden hier orthodoxe Priester und Theologen ausgebildet. Mit Hilfe eines neuen Gesetzes, wonach allen privaten religiösen Hochschulen des Landes die Lehrtätigkeit untersagt wurde, ließ die türkische Regierung vor 35 Jahren die Ausbildungsstätte für orthodoxe Geistliche schließen. "Das Ökumenische Patriarchat ist vielleicht die einzige Kirche der Welt, die keine Möglichkeit hat, ihre Priester auszubilden", sagte Bartholomaios. Die Priester, die aus Griechenland und den USA kommend im Patriarchat ihren Dienst tun, bekämen weder eine Arbeits- noch eine Aufenthaltsgenehmigung. Sie arbeiteten in Istanbul "als Touristen" und müssten alle drei Monate das Land verlassen, um dann mit neuem Visum zurückzukehren.

Das Ökumenische Patriarchat kämpfe seit 35 Jahren vergeblich für eine Wiedereröffnung der Theologischen Hochschule auf Chalki. Offizielle Schreiben des Patriarchats, die in dieser Sache nach Ankara gesandt wurden, seien bis heute unbeantwortet geblieben. Auf ein mögliches Einlenken Ankaras im Zuge der Annäherung an die EU sagte Bartholomaios: "Wir sind nicht optimistisch, geben aber die Hoffnung noch nicht auf." Im aktuellen Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission vom 8. November wird der Misstand ausdrücklich erwähnt, dass die Theologische Hochschule immer noch geschlossen sei.

Probleme gebe es aber auch mit dem Vermögen des Patriarchats und der orthodoxen Kirchengemeinden. Die Kirchen hätten keinen Rechtsstatus und könnten nur über Stiftungen öffentlich wirken. Bei den häufigen Enteignungen hätten sie kaum Chancen. Ankara habe zwar kürzlich ein Gesetz erlassen, das die Grundeigentumsrechte nicht-muslimischer Gruppen stärke; für den Patriarchen und andere kirchliche Minderheiten bringe es aber zu wenig.

Das orthodoxe Kirchenoberhaupt klagte ferner, dass die Regierung in Ankara darauf bestehe, dass sein künftiger Amtsnachfolger nicht nur das türkische Priesterseminar absolvieren, sondern auch türkischer Bürger sein müsste. Da es in der Türkei nur noch sehr wenige, meist ältere Bischöfe gebe, werde es immer schwieriger den Regierungsanforderungen zu entsprechen. Der Vorschlag des Patriarchen an die Regierung, einen ausländischen Nachfolger wählen zu dürfen und ihm nach der Wahl die türkische Staatsbürgerschaft zu verleihen, sei bisher nicht beantwortet worden.

Aus diesen Gründen setze das Ehrenoberhaupt der weltweiten Orthodoxie, das in der Türkei allerdings nur als Seelsorger oder "Oberpfarrer" der griechisch-orthodoxen Christen des Landes gesehen werde, auf den Beitritt der Türkei zur Europäischen Gemeinschaft. Diesen Weg habe er "von Anfang an mit ganzem Herzen unterstützt". Er erhoffe sich davon "die Lösung der Probleme aller Minderheiten dieses Landes", sagte Bartholomaios.

Den ausländischen Journalisten gegenüber betonte der Patriarch, dass er sich bewusst sei, dass es zu einer Mitgliedschaft nur kommen könne, "wenn die Türkei die Voraussetzungen erfüllt, welche für alle Mitgliedsländer gelten". Bartholomaios vertrat gegenüber den Medienvertretern die Ansicht, "dass die Religionsunterschiede zwischen Europa und der Türkei kein Grund sind, die Türkei nicht aufzunehmen".

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