Amerikanische "Megachurches" gewinnen an Einfluss

Washington/Los Angeles/USA | 18.08.2008 | APD | International

US-Wahlkampf im Lichte der evangelikalen Grosskirchen

In den USA breiten sich die "Megachurches" (deutsche: Megakirchen oder Grosskirchen) aus: Diese grosszügigen Gotteshäuser evangelikaler "Congregations" mit ihren intensiven Medienprogrammen finden immer mehr Anklang. Die meistens Gottesdienste werden live im Fernsehen übertragen.

Durch das US-Wahlkampfduell zwischen Barack Obama und John McCain am 16. August in der "Saddleback Valley Community Church" im kalifornischen Lake Forest rückten die Megachurches erneut in das Licht der Öffentlichkeit. Die vom populären Prediger Rick Warren gegründete Saddleback Church, mit baptistischem Hintergrund, ist mit rund 22.000 Besuchern die viertgrösste US-Megakirche.

Was auf den ersten Blick aussieht wie ein amerikanisches Einkaufszentrum, ist in Wirklichkeit ein protestantisches Gotteshaus. Oft finden mehrere Gottesdienste am Tag - auch unter der Woche - statt. Die wöchentliche Kollekte einer Megachurch wird im Schnitt auf 70.000 US-Dollar (76.630 Schweizer Franken) geschätzt. Angeboten werden neben Gottesdiensten auch Selbsthilfegruppen und Kinder- und Berufsberatung. Therapeuten kümmern sich um "verletzte Seelen" und Sporthallen sorgen für Abwechslung.

In den Vereinigten Staaten wurden 2005 laut einer Datenbank des Hartford Institute for Religion Research heute mehr als 1.200 Gotteshäuser, die diesem neuen Kirchentyp entsprechen. Die grösste nordamerikanische Megachurch", die "Lakewood Church" in Houston (Texas), zählt bis zu 47.000 Gottesdienstbesucher. Auf dem zweiten Platz liegt die "Willow Creek Community Church" in South Barrington (Illinois). Beide evangelikalen Kirchen bezeichnen sich als konfessionell ungebunden. Den dritten Platz belegt derzeit die "Second Baptist Church" in Houston (Texas) mit 23.200 Kirchgängern. Grösse und Vielfalt dieser Grosskirchen variieren. Über 60 Prozent der Megachurches befinden sich im so genannten Süd-Gürtel der USA, vor allem in den Bundesstaaten Kalifornien, Florida, Georgia und Texas sowie in den Gross-Städten wie Atlanta, Dallas, Houston, Los Angeles, Orlando, Phoenix und Seattle.

Es begann mit der "Crystal Cathedral"

Historischer Ausgangspunkt der Bewegung war die "Crystal Cathedral", die Pastor Robert H. Schuller 1955 im kalifornischen Garden Grove im Auftrag der Reformed Church of America (RCA) begründete. Der eindrucksvolle heutige Bau der "Crystal Cathedral" nach Entwürfen von Philip Johnson entstand 1977/80 unter Einbeziehung von bereits vorhandenen Bauteilen, die Richard Neutra errichtet hatte. Die "Crystal Cathedral" gilt daher auch als eines der Hauptwerke der modernen Sakralarchitektur. Aus der "Crystal Cathedral" kommt die TV-Sendung "Hour of Power", die allwöchentlich weltweit von bis zu 30 Millionen Menschen gesehen wird.

Das Phänomen der Megachurches erregt internationales Aufsehen. Der Religionssoziologe Scott L. Thumma vom Hartford-Institut für Religionsforschung in Connecticut meint, mit etwa sieben Millionen Anhängern würden die Megachurches die drittgrösste religiöse Gruppe in den USA darstellen, gleich hinter der römisch-katholischen Kirche und den "Southern Baptists Convention/SBC", im deutschen Sprachraum meist Südliche Baptisten in den USA genannt. Genaue Zahlen hat niemand, weil es in den USA - einem Land mit mindestens 100 Millionen Bewohnern, die "unchurched" sind und daher keiner Konfession angehören - keine Religionsstatistiken nach mitteleuropäischer Vorstellung gibt.

Der Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), Pfarrer Samuel Kobia, kritisiert den religiösen Trend: "Theologisch gesehen hat diese Bewegung keine Tiefe. Das kann gefährlich sein, denn es scheint sich eine Art Christentum zu entwickeln, das zwar drei Kilometer lang, aber nur fünf Zentimeter tief ist". In den Megachurches konzentriere man sich nur darauf, dass sich die Leute "gut fühlen". Viel mehr sei nicht dahinter.

Die meisten Megachurches sind konfessionell ungebunden, wenngleich ihr Hintergrund zumeist die protestantische Theologie evangelikaler Prägung ist. Umfangreiche technische Ausstattung wie Konzertbühnen und professionelle Licht- und Tontechnik gehören dazu; visuelle und akustische Effekte im Stil der aktuellen Jugendkultur sind selbstverständlich. Denn die Megachurches werden vorwiegend von jungem Publikum besucht.

Duncan Dodds, "Geschäftsführer" der "Lakewood Church", räumt ohne weiters den hohen Stellenwert der technischen Ausstattung ein. Mit einer hoch professionellen Internetseite und einer 60.000 Namen umfassenden "Mailing List" erreiche diese Megachurch Hunderttausende Menschen auf der ganzen Welt. Treffpunkt am Wochenende ist eine renovierte Basketball-Arena, in der früher die Mannschaft "Houston Rockets" trainierte. Der Lakewood-Pastor Joel Osteen rangiert auf Platz 5 der "50 einflussreichsten Christen" in den USA. Seine wöchentlichen Predigten werden angeblich von mehr als 100 Millionen Haushalten in den USA live mitverfolgt und in rund hundert Länder übertragen. Die Zuschauer können sich Bibelverse auf ihren Laptop laden, während eine PowerPoint-Präsentation sie durch den Gottesdienst leitet.

In den vergangenen Jahren haben die evangelikalen Gemeinden ein dichtes Marketing-Netz entwickelt. Mit Hilfe eigener Radio- und TV-Sender und eigener Verlagshäuser konnten sich die Megachurches Einfluss auf Politik und Wirtschaft des Landes erarbeiten. Es gibt eigene Schulen (Colleges), die zum "Netzwerk" der Megachurches gehören. Selbst im Immobiliengeschäft wird bereits mitgemischt.

"Die Massenkultur hat triumphiert", zitiert die Wochenzeitung "Die Zeit" den amerikanischen Sozialwissenschaftler Alan Wolfe. Das Geschäft mit der Religion scheint gut zu laufen. "Megachurches are megabusiness", schreibt das US-Wirtschaftsmagazin "Forbes".

Das Phänomen ist jedoch nicht auf die Vereinigten Staaten beschränkt

In der südkoreanischen Hauptstadt Seoul befindet sich die derzeit grösste Kirche der Welt: die "Yoido Gospel Church". Auch in Brasilien und in einigen afrikanischen Ländern wurden evangelikale Gotteshäuser enormer Grösse gebaut. Im Gegensatz dazu ist das Phänomen in Europa wenig präsent. Die "Embassy of God" in der ukrainischen Hauptstadt Kiew ist mit 20.000 Mitgliedern Europas grösste Megachurch.

(6273 Zeichen)
© Nachrichtenagentur APD Basel (Schweiz) und Ostfildern (Deutschland). Kostenlose Textnutzung nur unter der Bedingung der eindeutigen Quellenangabe "APD". Das © Copyright an den Agenturtexten verbleibt auch nach ihrer Veröffentlichung bei der Nachrichtenagentur APD. APD® ist die rechtlich geschützte Abkürzung des Adventistischen Pressedienstes.