Deutschland: «Tag der offenen Moschee» am 3. Oktober <br> Islamrats-Vorsitzender fordert religiöse Aufklärung durch gläubige Muslime

Berlin-Bonn (Deutschland) | 30.09.2010 | APD | Religionsfreiheit

Über 530 deutsche Moscheen laden am Sonntag, 3. Oktober zum "Tag der offenen Moschee" (TOM) ein. Nach Angaben des verantwortlichen Koordinierungsrates der Muslime in Deutschland (KRM) wird mit rund 100.000 Besuchern gerechnet. Die muslimischen Verbände vermuten angesichts der Sarrazin-Debatte einen grossen Aufklärungsbedarf und haben den diesjährigen TOM der aktuellen Bedeutung des Korans gewidmet.

"Die meisten, die über den Islam urteilen, kennen kaum einen gläubigen Muslim", erklärte Ali Kizilkaya, der Vorsitzende des Islamrats und derzeitige KRM-Sprecher, bei der Pressekonferenz zum diesjährigen TOM. In offensichtlicher Anspielung auf den (mit staatsanwaltlichen Untersuchungen begründeten) Ausschluss des Islamrates aus der Deutschen Islamkonferenz beklagte er, dass man "über uns, nicht mit uns" spreche. Für Kizilkaya ist daher die Gesellschaft gefragt, wie weit sie "Ausgrenzung und Rassismus" dulde.

Aus Sicht des Islamwissenschaftlers Carsten Polanz vom Bonner Institut für Islamfragen (IfI), einer Einrichtung der Deutschen Evangelischen Allianz (DEA), seien persönliche Begegnungen wichtig. Dazu gehöre aber auf beiden Seiten auch die Bereitschaft, sich kritischen Fragen zu stellen.

Muslimische Vertreter dürften nicht jeder kritischen Frage mit dem Vorwurf des Rassismus und der Diskriminierung ausweichen. Auch die weit verbreitete Skepsis in der Mehrheitsgesellschaft gegenüber den zunehmenden grossen Moscheebauten mit hohen Minaretten dürfe nicht von vornherein als Islamfeindlichkeit gewertet werden. Es gebe die berechtigte Sorge vor einer im Mehrheitsislam bisher fehlenden Trennung von Staat und Religion.

Die Moschee habe in der islamischen Geschichte in der Regel nicht nur als Ort des gemeinschaftlichen Gebets, sondern auch als gesellschaftspolitisches Zentrum gedient. Aussergewöhnlich hohe Minarette oder die Benennung zahlreicher Moscheen nach al-Fatih, dem osmanischen Eroberer des christlichen Konstantinopel, würden in Deutschland eher im Sinne eines politischen Machtanspruchs als im Sinne des Willens zur Integration verstanden. Gesprächsbedarf gebe es auch bei der Frage nach dem schariadefinierten Verständnis der Menschenrechte.

Die zum "Tag der offenen Moschee" herausgegebene Broschüre mit dem Titel: "Der Koran - 1400 Jahre, aktuell und mitten im Leben" werfe wichtige Fragen auf. Die Publikation beschreibe das koranische Verständnis der verschiedenen Verantwortungsbereiche des Menschen. Auf dem Einladungsplakat seien dazu Koranverse abgebildet, in denen es unter anderem heisst, dass "Allah gebietet, Gerechtigkeit zu üben, Gutes zu tun und die Nahestehenden zu beschenken. Und er verbietet das Schändliche und Unrechte und Gewalttätige. Er ermahnt euch, euch dies zu Herzen zu nehmen." (Sure 16,90) Laut Broschüre richte sich der Koran mit seinen Geboten und Verboten "an die Vernunft des Menschen [...], um ihn ein würdiges und glückliches Leben im Diesseits zu ermöglichen und ihn vor den Konsequenzen im Jenseits zu bewahren." Zugleich werde betont, dass sich der Muslim "im Klaren darüber [sei], dass ihm die Entscheidung für sein persönliches Handeln freigestellt ist". An anderer Stelle werde jedoch betont, dass der Einzelne gegenüber der muslimischen Gemeinschaft (Umma) und der gesamten Menschheit die Verantwortung habe, das Gute (nach diesem Verständnis: den Islam) zu gebieten und vor Schlechtem (hier wohl gemeint: allem Nicht-islamischen) zu warnen. Gerade bei der Vermittlung dieses Bewusstseins solle die Moschee zusammen mit der Familie die zentrale Rolle übernehmen.

Nach Einschätzung von Polanz bleibe somit die Schlüsselfrage offen: Ist die Freiheit des Einzelnen den islamischen Werten und den jeweiligen Interessen der muslimischen Gemeinschaft untergeordnet? Welche Interessen haben im Konfliktfall den Vorrang, wenn zum Beispiel der einzelne Muslim sich von der islamischen Religion abwenden möchte oder deren Grundlagen kritisiert. In der von 57 Aussenministern islamischer Staaten unterzeichneten "Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam" würden beispielsweise sämtliche Freiheiten des Menschen nur soweit garantiert, wie sie mit den Geboten und Verboten des islamischen Rechts übereinstimmten. Meinungsfreiheit bedeute dort beispielsweise "im Einklang mit den Normen der Scharia für das Recht einzutreten, das Gute zu verfechten und vor dem Unrecht und dem Bösen zu warnen."

Die TOM-Broschüre formuliere teilweise auffallend ähnlich, wenn sie die Verantwortung des Einzelnen gegenüber der muslimischen Gemeinschaft hervorhebt. Kritische Rückfragen der Mehrheitsgesellschaft an die muslimischen Gemeinschaften sind gerade kein Hindernis für die Integration von Muslimen, sondern dringend notwendige Voraussetzung für das friedliche Zusammenleben in einer pluralistischen Gesellschaft - nicht zuletzt am Tag der offenen Moschee, so Polanz.

Der "Tag der offenen Moschee" fand erstmals 1997 auf Initiative des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD) statt. Dem heute verantwortlichen KRM gehören neben dem ZMD auch die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB), der Islamrat und der Verband der Islamischen Kulturzentren an. In den letzten Jahren haben auch die Moscheegemeinden der Islamischen Gemeinschaft Mili Görüs am TOM teilgenommen.

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