Warum der Untergang der „Titanic“ uns packt

Alsbach-Hähnlein bei Darmstadt/Deutschland | 05.04.2012 | APD | Gastkommentar

Kommentar von Titus Müller*
Sie war das grösste bewegliche Objekt der Welt, der luxuriöseste Dampfer und ein Glanzstück der Technologie: Die „Titanic“. Vor 100 Jahren, am 10. April 1912, begann sie ihre Jungfernfahrt. Selbst die Luxusverwöhnten fanden an Bord alle ihre Wünsche erfüllt. Täglich wurden erlesene Speisen gekocht. Wem das Herumsitzen zu viel wurde, den erwartete ein Squashplatz mit Trainer. Im Gymnastikraum standen Gewichthebemaschinen, Rudermaschinen und Fahrräder zur Verfügung. Es gab ein Schwimmbad, blau-weiss gekachelt und gefüllt mit beheiztem Salzwasser.

Jeder verband Hoffnungen mit der Reise. Die einen den Wunsch, in Amerika ihr Leben neu zu beginnen. Andere hatten ihre Hochzeitsreise nach Europa unternommen und kehrten mit der „Titanic“ heim. Manche waren einfach wegen des gesellschaftlichen Ereignisses dabei.

Die furchtbare Nacht vom 14. auf den 15. April machte alle Pläne zunichte. Es ist Neumond und stockfinster, die Männer im Ausguck haben Schwierigkeiten, Eisberge rechtzeitig zu sehen. Ausserdem herrscht Windstille, die See ist glatt, sie bricht sich nicht am Rand der Eisberge. Eine fatale Kombination. Als die „Titanic“ auf einen Berg zufährt, erkennen sie ihn zu spät. Das Schiff wird vom Eis aufgeschlitzt.

Die Passagiere legen auf Befehl des Kapitäns ihre Rettungswesten an. Zuerst steigen
sie nur unwillig in die Rettungsboote, bei wachsender Schräglage des Schiffs immer hastiger. Zwanzig Boote gibt es. Sie reichen nicht. Das Kristallglas geht zu Bruch, die Plüschsessel versinken, und mit ihnen die Menschen. Knapp 1.500 sterben in dieser Nacht.

Ich habe mich über ein Jahr lang mit verschiedenen Passagieren befasst und einen Roman darüber geschrieben („Tanz unter Sternen“, Blessing Verlag). Warum packt uns der Untergang der „Titanic“ bis heute? Wir identifizieren uns mit den Menschen auf der „Titanic“. Auch Deutsche sind dabei, Menschen jeder Bevölkerungsschicht. So plötzlich ist ihr Leben zu Ende; eben noch sind sie in Urlaubsstimmung, dann müssen sie sterben. Das erschreckt, und zugleich spüren wir: Auch wir sind dabei. Jedes Leben, meines und Ihres, mündet wie eine Fahrt auf der „Titanic“ irgendwann, unerwartet oder erwartet, im Sterben.

Titus Müller

Wir vergessen leicht, dass unsere Tage auf dieser Welt gezählt sind. Von Zeit zu Zeit brauchen wir den prüfenden Blick auf unseren Lebensentwurf. Wir brauchen die Frage nach der Sinnhaftigkeit, nach tragfähigen Rettungsbooten – und nach Gott. Wenn dieser Tage die Geschichte der „Titanic“ neu erzählt wird, im Kino in 3D, im Fernsehen, in Büchern, dann kann das eine Gelegenheit sein, die eigene Schiffsreise durch das Leben neu auszurichten.

* Titus Müller, 1977 in Leipzig geboren, studierte Neuere deutsche Literatur, Mittelalterliche Geschichte und Publizistik in Berlin. Sein Debütroman »Der Kalligraph des Bischofs« wurde 2002 ein Überraschungserfolg. Ein Jahr später folgte »Die Priestertochter«, 2005 erschienen »Die Brillenmacherin« und »Die Todgeweihte«. Soeben erschienen ist „Der Kuss des Feindes“ bei Fischer Schatzinsel.

Hinweis der Redaktion: Eine Sondersendung mit Titus Müller zum Thema „Nachgefragt: 100 Jahre Titanic“ gibt es am 10. April um 19 Uhr im „Hope Channel“ Fernsehen. Wie viel mehr in dem historischen Stoff vom Untergang der „Titanic“ steckt, erzählt Müller. Er ist Autor historischer Romane. Weitere Informationen unter wwww.hope-channel.de

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