Ueli Maurer, Schweizer Bundespräsident 2013 © Foto: Bundeskanzlei

Bundespräsident Maurer entschuldigt sich bei Schweizer Juden <br> SIG-Delegiertenversammlung beschäftigt sich mit Religion und Säkularisierung

St. Gallen/Schweiz | 09.05.2013 | APD | Schweiz

Ich möchte mich bei ihnen für die Auslassung in der Botschaft zum internationalen Holocaust-Gedenktag“ schlicht und einfach entschuldigen. Es war keine Absicht dabei“, sagte Bundespräsident Maurer in der Einleitung zu seinem Grusswort anlässlich der 108. Delegiertenversammlung des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes SIG am 8. Mai in St. Gallen. Die Delegierten quittierten diese Entschuldigung mit Applaus und Herbert Winter, SIG-Präsident, dankte dem Bundespräsidenten für dessen Klarstellung und Entschuldigung.

Maurer hatte im Januar in seiner Botschaft zum Holocaust-Gedenktag die Schweiz als „ein Land der Freiheit und des Rechts“ dargestellt, das „für viele Bedrohte und Verfolgte zur rettenden Insel“ geworden sei. Der SIG hatte gemeinsam mit der Plattform der Liberalen Juden der Schweiz (PLJS) bedauert, dass der Bundespräsident „die Schweiz in einem einseitigen, nur positiven Licht“ darstellt habe. Der Bundespräsident habe „die Schwächen und Irrtümer der Politik der Schweiz während des Zweiten Weltkrieges“, ausser Acht gelassen. Er habe vergessen all jene Flüchtlinge zu erwähnen, „die wegen der Haltung der Schweiz in den sicheren Tod abgeschoben“ worden seien.

In seinem Grusswort schilderte Ueli Maurer, dass seine Mutter ihm viel von der Geschichte des jüdischen Volkes erzählt habe, was ihn geprägt und nicht mehr losgelassen habe. Er habe später viele historische Orte in Europa besucht, die in Zusammenhang mit der jüdischen Geschichte stünden. Juden trügen zur Vielheit der Schweiz bei, so Maurer und Israelitisches habe in der Schweiz einen festen Platz. Maurer schloss sein Grusswort mit der Feststellung, dass die Geschichte der Schweiz von Ausgleich sowie Kompromissen geprägt sei und Achtung oder Respekt immer wieder neu erarbeitet werden müssten.

Religion in der säkularen Welt auf dem Rückzug
In der Tour d’horizon stellte SIG-Präsident Herbert Winter fest, dass die Religion in der säkularen Welt auf dem Rückzug sei, man könne gar von einer Religionskrise sprechen. Zudem sei Patchwork-Religion aktuell, bei der sich jeder das zusammenstelle, was ihm passe. Gesellschaftspolitisch sei alles auf Konsens, Einebnen und Ausgleich ausgerichtet und das Religiöse werde ins Private abgedrängt. Ausnahmeregelungen aus religiösen Gründen würden misstrauisch beäugt. Er frage sich, so Winter, wie tolerant die säkulare Welt heute wirklich sei.

Bibel lesen, wenn man europäische Kultur verstehen will
Im Gastreferat „Religion in der säkularen Gesellschaft“, stellte Prof. Dr. Alfred Bodenheimer, Leiter des Zentrums für Jüdische Studien der Universität Basel, einleitend fest, dass die Säkularisierung weit fortgeschritten sei. Im Deutschunterricht habe er festgestellt, dass Maturanden kaum mehr Bezüge zu biblischen Geschichten oder Personen herstellen könnten und damit Elemente der deutschen Literatur nicht mehr verstünden. Auf eine Aufforderung an die Maturanden „sie müssen die Bibel lesen, wenn sie die europäische Kultur verstehen wollen“, habe ihn eine Maturandin gefragt, ob er sie zum Christentum bekehren wolle. Sie sei offensichtlich über seine Religionszugehörigkeit nicht informiert gewesen.

Religionsmüdigkeit des Säkularismus in Europa, wachsende Vorbehalte gegenüber organisierter und institutionalisierter Religion und Gleichgültigkeit gegenüber Religion wandelten sich zunehmend in Ablehnung den Religionen gegenüber, sagte Alfred Bodenheimer,. Die Debatte über Beschneidungen von Knaben im letzten Jahr habe die Rolle der Religion in einer verweltlichten Gesellschaft bewusst gemacht.

In drei Punkten zeigte Bodenheimer Bedeutung und Probleme der Religion im säkularen Staat auf: Religionsfreiheit werde in der Schweiz von der Leitreligion her definiert, dem Christentum. Religiöse Riten und Handlungen nähmen in diesem Verständnis einen untergeordneten Platz ein, oder verschwänden fast aus dem Blickfeld, das habe die Beschneidungsdiskussion bewusst gemacht. Zweitens würden die Menschenrechte zum Religionssubstitut der Säkularen, so Bodenheimer. Die Bibel fordere aber nicht Rechte für Arme, Witwen und Waisen ein, sondern tätige Liebe ihnen gegenüber. Im letzten Punkt stellte er eine zunehmende Desillusionierung der Gesellschaft betreffs Selbstregulierung fest. Der Staat werde immer mehr gefordert. Diese Misstrauenswelle lasse wertevermittelnde Institutionen, wie die Familie, nicht unberührt. Er schloss mit der Bemerkung, dass Religionen in einer säkularisierten Gesellschaft nicht mit Anerkennung oder Verständnis rechnen könnten.

Das Gastreferat von Prof. Dr. Alfred Bodenheimer soll auf der SIG-Website publiziert werden: www.swissjews.ch

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