Waris Dirie an der Eröffnung des Zentrums für Opfer der Genitalverstümmelung © Foto: Krankenhaus „Waldfriede“

Hilfe für Opfer der weiblichen Genitalverstümmelung - Krankenhaus „Waldfriede“ eröffnet „Desert Flower Center“

Berlin/Deutschland | 16.09.2013 | APD | Gesundheit & Ethik

Medizinische und psychosoziale Hilfe erhalten Frauen, die Opfer einer Genitalverstümmelung (Female Genitale Mutilation – FGM) wurden, ab sofort im Krankenhaus „Waldfriede“ der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Berlin-Zehlendorf. Dort wurde am 11. September das „Desert Flower Center Waldfriede“ gegründet. Der Name geht auf das Wirken des ehemaligen Topmodels und der früheren UN-Sonderbotschafterin Waris Dirie (48) zurück, die durch ihre Biografie „Wüstenblume“ (englisch: Desert Flower) und den gleichnamigen Film weit bekannt wurde. Darin schildert die gebürtige Somalierin, die selbst mit fünf Jahren Opfer von FGM wurde, ihren Leidens- und Lebensweg. Waris Dirie eröffnete das Berliner Zentrum und übernahm auch die Schirmherrschaft. Damit ist „Waldfriede“ Kooperationskrankenhaus der von ihr 2002 gegründeten „Desert Flower Foundation“, Wien, und weltweit die erste Einrichtung, die Opfer von Genitalverstümmelung ganzheitlich betreut.

Ein Traum wurde wahr
„Ein Traum ist wahr geworden“, freute sich Waris Dirie in ihrer Ansprache zur Eröffnung des Zentrums. Das „Desert Flower Center Waldfriede“ werde etwas Glück in das Leben vieler afrikanischer Frauen bringen. Es sei ein Erfolg für sie im Kampf gegen die Genitalverstümmelung, „aber der Kampf ist noch lange nicht vorbei“. Weibliche Genitalverstümmelung habe nichts mit Kultur, Religion oder Tradition zu tun. Sie sei Folter und ein Verbrechen, das bekämpft werden müsse.

Ein medizinischer Eingriff könne diesen Frauen helfen, denn jeder Gang zur Toilette oder jeder Geschlechtsverkehr sei eine Qual, gab der Geschäftsführer des Krankenhauses „Waldfriede“, Bernd Quoss, zu bedenken. Bei der Genitalverstümmelung würden einem jungen Mädchen die Klitoris sowie häufig auch die inneren und äusseren Schamlippen abgeschnitten. Weltweit seien nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) 150 Millionen Frauen, vor allem in Afrika, im Süden der arabischen Halbinsel und in Asien, beschnitten. Auch in Deutschland lebten etwa 50.000 Opfer mit FGM. Die Berliner Klinik sei auf Eingriffe am Darm- und Beckenboden spezialisiert. Doch ein medizinischer Eingriff reiche für die meist traumatisierten Frauen nicht aus. Deshalb stünden für sie auf Wunsch auch Psychologen, Seelsorger, Psychologen und Dolmetscher bereit. Die Kosten für die Behandlung übernähmen die Krankenkassen, sofern die Patientinnen in Deutschland versichert seien. Liege kein Versicherungsschutz vor, werde die Therapie durch Spenden finanziert. Dafür habe das Krankenhaus einen Förderverein gegründet, informierte Quoss.

Dr. Roland Scherer (50), Chefarzt des „Zentrums für Darm- und Beckenbodenchirurgie“ im Krankenhaus „Waldfriede“, beschäftige das Thema FGM und die Behandlung von rektovaginalen Fisteln, eine Folge der weiblichen Genitalverstümmelung, schon seit vielen Jahren. Um betroffenen Frauen zu helfen, habe er 2012 gemeinsam mit Bernd Quoss Kontakt zur „Desert Flower Foundation“ in Wien aufgenommen und dabei auch die Gründerin Waris Dirie kennengelernt. Bei den medizinischen Eingriffen gehe es laut Scherer um die Behandlung von Komplikationen nach FGM, wie Vernarbungen, Scheiden-Darm-Fisteln, Scheiden-Blasen-Fisteln, Schliessmuskelverletzungen sowie Harn- und Stuhlinkontinenz. Auch die Plastische Wiederstellungschirurgie zur Rekonstruktion der Klitoris und des äusseren Genitales sei möglich, ebenso eine psychosoziale Betreuung und Beratung.

Die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten erläuterte bei der Eröffnung des Zentrums in einem Fachvortrag der Pariser Chirurg Pierre Foldès, der in Zusammenarbeit mit dem Urologen Jean-Antione Robein die Operationstechnik entwickelte, um Schäden von FGM zu beseitigen.

„Ich bin meinem Vater noch heute unendlich dankbar“
„Wenn du nicht beschnitten bist, bist du keine Frau, sondern ein kleines Mädchen.“ Mit diesen Worten werde in bestimmten Kulturen Druck ausgeübt, betonte die aus Afrika stammende Mitarbeiterin der Adventistischen Entwicklungs- und Katastrophenhilfe ADRA, Evelyn Brenda, welche in Kaijado (Kenia) ein Internat betreut, das Mädchen Zuflucht vor Beschneidung und Zwangsheirat bietet. Um hier ein Umdenken zu bewirken, müssten alle Familienmitglieder einschliesslich der Männer mit einbezogen werden. Wo sich durch schulische Bildung und Aufklärung die Stellung der Frauen verbessere, könne die Genitalverstümmelung zurückgedrängt werden. Sie selbst sei als einzige Frau ihrer Familie von diesem Ritual verschont geblieben, weil ihr Vater es nicht wollte. „Dafür bin ich ihm noch heute unendlich dankbar“, betonte sie. In einem weiteren Projekt kümmere sich Brenda in Kenia auch um Frauen, die durch Genitalverstümmelung inkontinent geworden seien. Operativ könne in vielen Fällen Abhilfe geschaffen werden.

Das „Desert Flower Center Waldfriede“ hat inzwischen seine Arbeit aufgenommen. Bereits einen Tag nach der Eröffnung wurden zwei Patientinnen aus Dschibuti und Äthiopien operiert.

Das seit 1920 in Berlin-Zehlendorf bestehende Akutkrankenhaus „Waldfriede" verfügt über 170 Betten. Es ist unter anderem Mitglied im Diakonischen Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, im Verband Evangelischer Krankenhäuser und stationärer Einrichtungen Berlin-Brandenburg, im Evangelischen Verband für Altenarbeit und Pflegerische Dienste (EVAP) sowie Teil des weltweiten „Adventist Health System" der Siebenten-Tags-Adventisten.

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