Überleben in der Krisenregion der Ostukraine

Moskau/Russland | 30.07.2014 | APD | International

Zur Kirchenregion Ostenukraine der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten zählen 3.500 Mitglieder. Mindestens 180 von ihnen sei bei der Flucht aus den Krisengebieten um die Städte Donezk und Luhansk auf deren Bitte im April geholfen worden, so die regionale Kirchenleitung. Die pro-russischen Rebellen hätten damals bei der Eroberung Schrecken und Grauen verbreitet, berichtete der Russlandkorrespondent der amerikanischen Kirchenzeitschrift „Adventist Review“ (AR).

Die meisten adventistischen Pastoren und Kirchenmitglieder seien aber vor Ort geblieben und hätten sich auch um ihre Nachbarn gekümmert. Bis jetzt seien glücklicherweise weder Kirchenmitglieder verletzt worden, noch seien - mit einer Ausnahme - keine Grossschäden an Kirchengebäuden zu verzeichnen, sagte Pastor Guillermo Biaggi, Präsident der Euro-Asien Kirchenregion, zu welcher die Ukraine sowie zwölf andere Länder der ehemaligen Sowjetunion gehören. "Dennoch trauern wir mit Familien, die ihre Lieben verloren haben", sagte Biaggi. "Wir werden weiterhin unser Bestes tun, um den Menschen im Osten der Ukraine zu helfen und für eine friedliche Lösung des Konflikts beten."

In Debalzewe, einer Kleinstadt 30 Kilometer nordöstlich von Donetsk, sei in der Nach zum 28. Juli das Dach des adventistischen Gebetshauses von einer nicht explodierten Granate zerstört worden. Die Explosion einer Granate in der Umgebung habe dann alle Fenster zerstört, sodass nur noch die Mauern stünden, berichtete die adventistische Kirchenleitung in der Ostukraine.

Mit der Intensivierung der Kämpfe um Donezk, dem Zentrum der Kohleregion Donbass, habe die lokale Kirchenleitung weiteren 30 Mitgliedern mit dem Kauf von Fahrkarten oder mit anderen Transportmitteln bei der Evakuierung geholfen. Anderen seien Unterkünfte in adventistischen Kirchen oder bei Familien in der Ukraine sowie in Russland vermittelt worden. Schon früher seien 45 Kinder und neun Erwachsene für 20 Tage in einem adventistischen Sanatorium in der Region Dnipropetrovsk untergebracht worden, das westlich der Krisenregion liegt.

Obwohl die Umstände in der Ostukraine schwierig seien, erlebten sie auch viel Gutes, berichteten adventistische Pastoren. Es gebe teilweise tägliche Gebetstreffen, Kirchenmitglieder seien offener und verständnisvoller für die Bedürfnisse anderer geworden und unterstützten sowie ermutigten sich gegenseitig und seien auch für Gott und sein Wort empfänglicher. Zum Gottesdienst am Samstag erschienen Mitglieder, die längere Zeit nicht mehr teilgenommen hätten als auch neue Besucher.

Die Kirche habe nicht das Einkommen, um die in der Krise rasant gewachsenen Ausgaben für Hilfskosten zu decken, hiess es in einem Email der ostukrainischen Kirchenleitung, aber die Gaben der Mitglieder seien trotz ihrer mageren Ressourcen in jeder Kampfphase grosszügiger geworden. Als die Regierung die Renten für Adventisten in Kramatorsk und Slowjansk nicht auszahlen konnte, sei die Kirche mit 100.000 Griwna (7.650 Franken) zur Überbrückung eingesprungen.

Wovor hast du Angst?
Vor der Rückeroberung durch die ukrainsche Zentralregierung hätten sie in Kramatorsk jeden Sabbat (Samstag) während der Besatzung durch pro-russische Rebellen mit 25 Personen den Gottesdienst gefeiert, erzählte Olga, eine Adventistin. An einem Samstagmorgen habe sie Angst gehabt zum Gottesdienst zu gehen. Als sie dies ihrem Mann gesagt habe, der kein Adventist sei, habe dieser zurückgefragt: "Du hast doch zu Gott gebetet. Wovor hast du Angst?“ Darauf sei sie in die Kirche gegangen.

Alptraumhafte Existenz
In Kramatorsk und Slowjansk sei das Leben nach der Zurückeroberung durch die Zentralregierung wieder zurück auf „normal“, berichteten Kirchenmitglieder. Sie würden aber ihre teils tagelange, alptraumhafte Existenz in den Kellergewölben ohne Strom, Gas und Wasser nicht so schnell vergessen.

Blendende Explosionen
Ein Mitglied der Kirche in Slowjansk erzählte gegenüber AR, wie er kurz vor der Rückeroberung durch die ukrainischen Streitkräfte in seinem Gemüsegarten das Summen eines anfliegenden Geschosses vernommen habe. Darauf habe er sich reflexartig hinter einem Schuppen versteckt und eine blendende Explosion gesehen. Die Stelle, an der er vor einem Augenblick gestanden habe, sei zerstört gewesen.

Gewehrläufe auf Brust oder Kopf
Pastor Lev P. Vertylo, Präsident der ostukrainischen Adventisten, mussten bei einer Pastoralreise zum Besuch einiger Kirchen seiner Region 16 Checkpoints passieren. An zehn der Kontrollen habe ihm jeweils ein Bewaffneter den Gewehrlauf auf die Brust gerichtet und einmal auf den Kopf. Dabei hätte man Geld sowie Waffen von ihm gefordert.

Zivilcourage
Beim Versuch bewaffneter Rebellen das Auto eines adventistischen Pastors in Donezk zu requirieren und die Nummernschilder zu beseitigen, hätten Passanten eingegriffen und von Bewaffneten verlangt, dass sie davon ablassen sollten, was diese widerwillig getan hätten.

Widerstand
Der 32-jährige Neffe eines Adventisten in Kramatorsk habe den Rebellen, die in einer Nacht sein Auto entwenden wollten, Widerstand geleistet. Ihm sei sowohl in die Brust als auch in jedes Bein geschossen worden. Mangels Transportmittel sei er verblutet, so AR.

Die Adventisten in der Ostukraine seien Gott dankbar für seine Barmherzigkeit, sagte Pastor Guillermo Biaggi. Sie würden weiterhin jene aktiv unterstützen, die litten und beteten mehr als je zuvor, auch für jene Bewaffneten, die über Teile der östlichen Ukraine Macht hätten.

Adventisten in der Ukraine
In der Ukraine mit 45.5 Millionen Einwohnern, feiern 51.900 erwachsen getaufte Adventisten in 899 Kirchen jeden Samstag, dem biblischen Ruhetag, ihren Gottesdienst. Sie unterhalten eine Höhere Fachschule, eine Klinik, ein Sanatorium, ein Medienzentrum, ein TV-Studio sowie einen Verlag.

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