Kriegsdenkmal, Washington D.C./USA © Foto: Tobias Klepp / churchphoto.de

Adventisten im Ersten Weltkrieg

Lüneburg/Deutschland | 07.08.2014 | APD | International

Der Erste Weltkrieg sei einer der blutigsten, militärischen Konflikte gewesen, welche die Welt je gesehen habe. „Ohne zu zögern, wurden neue Massenvernichtungswaffen eingesetzt“, schreibt Denis Kaiser, Lehrbeauftragter für Kirchengeschichte am adventistischen Theologischen Seminar der Andrews University, Berrien Springs, Michigan/USA, zum 100. Jahrestag des Ersten Weltkriegs in seinem Beitrag „Liebe deinen Feind?“ in der deutschsprachigen Ausgabe August 2014 der internationalen Zeitschrift „Adventist World“. Es sei kaum zu glauben, dass Länder, die für ihre erstaunlichen Leistungen in der Musik, Literatur, Wissenschaft und Theologie bekannt waren, in die Barbarei eines solchen Krieges zurückfielen. Es mag sein, dass Christen niemals solch ein Abschlachten geplant oder vorgehabt hätten, sich daran zu beteiligen. „Doch in Wirklichkeit waren viele der Politiker, Heerführer und Soldaten ernste Christen.“ Es wäre für uns heute unmöglich, nachzuvollziehen, was ihr Christsein ihnen in dem Moment, in dem sie Täter oder Opfer wurden, bedeutet habe, so Kaiser. Dieser schreckliche Krieg zeige, dass religiöse Formen, gesunder Menschenverstand und Diplomatie nicht ausreichten, „um uns davor zu bewahren, in den Wahnsinn eines Krieges hineingezogen zu werden“.

Auch jene, die sich aus religiösen oder anderen Gewissensgründen weigerten, Waffen zu gebrauchen, hätten sich in einer schwierigen Lage befunden. In den meisten Krieg führenden Ländern habe es keine Ausnahmen für Wehrpflichtige gegeben, die den Einsatz von Gewalt ablehnten. Siebenten-Tags-Adventisten hätten versucht, eine direkte Teilnahme an Kämpfen zu umgehen, denn sie wären bereits im Amerikanischen Bürgerkrieg (1861–1865) Kriegsdienstverweigerer gewesen.

Keine allgemeingültige Antwort – dem persönlichen Gewissen folgen
Doch die Situation in Europa habe sich von der in Nordamerika unterschieden, betonte Denis Kaiser. So hätten sich adventistische Kirchenleiter bereits 1885 in Europa darum bemüht, zu einer Lösung des Problems der allgemeinen Wehrpflicht und regelmässiger Dienste am Sabbat (Samstag), dem biblischen Ruhetag, zu gelangen. „Sie konnten jedoch keine allgemeingültige Lösung finden und überliessen es schliesslich jedem adventistischen Wehrpflichtigen, seinem persönlichen Gewissen zu folgen.“

Die Mitbegründerin der Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten, Ellen G. White (1827-1915), habe laut Kaiser betont, dass es auf diese Fragen keine alleinige, allgemeingültige Antwort gebe, weil die Situationen und Umstände von Land zu Land verschieden sein könnten. „Sie räumte ein, dass adventistische Wehrpflichtige sich nicht nach ihrem eigenen Gutdünken entscheiden, sondern die Gesetze ihrer jeweiligen Länder beachten sollten.“ Ellen White habe die Wehrpflichtigen ermutigt, sich als „treue ‚Soldaten des Kreuzes Christi‘“ zu erweisen und dass „Gottes Engel diese jungen Männer begleiten und vor Versuchungen bewahren mögen“. Die jungen Wehrpflichtigen hätten lernen müssen, biblische Prinzipien unter verschiedenen Umständen auszuleben.

Verteidigung: Ja, Angriff: Nein
In den verschiedenen europäischen Ländern wären Adventisten auf ganz unterschiedliche Gegebenheiten gestossen, informierte Kaiser. So habe es beispielsweise in Grossbritannien keine allgemeine Wehrpflicht gegeben, sodass die Adventisten dort von Problemen verschont worden seien. Doch andere Länder, wie Deutschland, Österreich-Ungarn und Frankreich, hätten sich stark auf die allgemeine Wehrpflicht gestützt, „und eine Verweigerung konnte mit Gefängnis oder Exekution bestraft werden“. Deshalb hätten adventistische Wehrpflichtige in diesen Ländern im Allgemeinen ihren Militärdienst geleistet, „verweigerten jedoch den Dienst am Sabbat in Friedenszeiten“. Einige seien für ihre strikte Beachtung des Sabbats vom Kriegsgericht zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt worden, „obwohl sie vor dem Kriegsgericht häufig sogar angaben, dass sie im Falle eines Angriffs durch den Feind auch am Sabbat für ihr Land kämpfen würden“. Doch an einem Angriffskrieg würden sie sich nicht beteiligen.

Als im Sommer 1914 der Krieg ausbrach, hätten die Siebenten-Tags-Adventisten in Mitteleuropa schon bald seine Komplexität erkannt: Wer versuchte hier, Krieg gegen ein anderes Land zu führen? Wer versuchte lediglich, seine Heimat zu verteidigen? Jedes Land habe den Anspruch erhoben, sich nur gegen einen ausländischen Aggressor zu verteidigen.

In Deutschland die Nerven verloren
Einige adventistische Kirchenleiter in Deutschland „verloren die Nerven“, so Kaiser, und hätten der Militärbehörde versichert, dass ihre Wehrpflichtigen die Heimat mit der Waffe verteidigen würden – auch am Sabbat. Zugleich bemühten sie sich, die Gemeindemitglieder davon zu überzeugen, dass die alttestamentliche Bereitschaft, Krieg zu führen, seine Gültigkeit nicht verloren habe. Diese Position sei für die Adventisten in Mitteleuropa nicht neu gewesen. Doch die Tatsache, dass die Leiter der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland ihren Mitgliedern sagten, was sie von ihnen erwarteten, „war sicher einmalig“. Eine Reihe von Gemeindegliedern habe ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck gebracht und Widerstand geleistet. Die daraus entstehenden Unruhen hätten nicht dadurch beigelegt werden können, dass man die „Unruhestifter“ ausschloss. Entfremdung, Unmut und Feindseligkeiten wären dadurch nur grösser geworden. Dieser interne „Krieg“ habe schliesslich zur Gründung der adventistischen „Reformationsbewegung“ geführt.

Repressalien für „Vaterlandsverräter“ in Grossbritannien
In Grossbritannien hätten sich die Umstände geändert, als die Regierung 1916 eine allgemeine Wehrpflicht einführte. Da es die Möglichkeit gegeben habe, vom Dienst mit der Waffe befreit zu werden, sei es den meisten britischen Adventisten als Wehrdienstverweigerern möglich gewesen, einen Dienst ohne Waffe in der Armee zu leisten. Das habe sie jedoch nicht vor Schikanen, Repressalien und Gefängnisstrafen verschont, denn ihre Vorgesetzten und die allgemeine Bevölkerung hätten sie als „Vaterlandsverräter“ betrachtet und seien nicht bereit gewesen, Adventisten in irgendeiner Weise zu begünstigen. Denis Kaiser betont: „Es war für die Adventisten, die zum Militärdienst einberufen wurden, schwer, ihren Überzeugungen treu zu bleiben, ganz gleich, ob sie in der deutschen, französischen oder britischen Armee dienten.“

Statt Wunden zuzufügen, heilen und retten
Zusammenfassend schreibt er: „Der Erste Weltkrieg brachte für adventistische Wehrpflichtige in Deutschland und Frankreich schwierige Umstände, doch viele von ihnen bemühten sich, Aufgaben im Militär zu erhalten, in denen sie heilen und retten konnten, statt Wunden zufügen zu müssen.“ So hätten sie zum Beispiel als Sanitäter, Pferdepfleger, Schreiber, Dolmetscher, Köche und Zugschaffner gedient. Viele von ihnen hätten mit ihren Kameraden gebetet, Bibelstunden gegeben, evangelistische Literatur verteilt und mit ihren Glaubensgeschwistern am Sabbat Gottesdienst gefeiert.

Es gäbe auch heute noch viele Adventisten in aller Welt, die ähnliche Umstände erlebten. Laut Kaiser gäbe es aber selbst bei scheinbarem Frieden täglich Auseinandersetzungen im eigenen Umfeld. „Wir stehen alle in der Versuchung, in Konflikten einen streitbaren Geist zu hegen.“ Christen sollten in erster Linie in ihrem Bemühen zu erkennen sein, nach Jesu Vorbild zu handeln, dessen versöhnende Liebe sich gegenüber Freunden und Feinden erweise.

"Adventist World", 8/2014: http://issuu.com/adventistworldmagazine/docs/aw_august_2014_german/1?e=2948086/8798184

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