Soldatenfriedhof Beedenkirchen, Deutschland © Foto: Matthias Müller / churchphoto.de

Freie evangelische Gemeinden im Zweiten Weltkrieg

Witten/Deutschland | 03.09.2014 | APD | International

Den Einmarsch der deutschen Wehrmacht am 1. September 1939 in Polen habe die frühere Gemeindezeitschrift „Der Gärtner“ des Bundes Freier evangelischer Gemeinden (BFeG) ganz im Sinne der Nazi-Propaganda kommentiert, schreibt der Historiker und Pastor i. R. des BFeG Hartmut Weyel in seinem Artikel „Krieg und Kriegsgeschrei“ in der September-Ausgabe von „Christsein heute", der jetzigen BfeG-Zeitschrift.

Treue und Gehorsam gegenüber dem Führer
Danach habe Deutschland den Krieg nicht gewollt und Polen sei durch seine unnachgiebige Haltung selbst schuld an der Krise. Der Krieg wäre gerechtfertigt, weil sich England „um jeden Preis die Reste des Versailler Raubes sichern“ wolle und deswegen Polen zu seiner starren Haltung angestiftet habe. In Verkennung der Realitäten hätte „Der Gärtner“ behauptet, so Weyel, der Führer Adolf Hitler strebe keine Weltherrschaft an. Dass „er aber Lebensraum und Sicherheit unseres Volkes an der Ostgrenze“ beanspruche, sei „nicht mehr als billig“. So habe der Schriftleiter der Zeitschrift geglaubt, seine Leser beruhigen zu können: „Wir sind getrost und voll guter Zuversicht über den Ausgang dieses Krieges, der so ungerecht uns aufgezwungen worden ist. Wer beten kann, der gedenkt in treuer Fürbitte des Führers, der inmitten seiner tapferen Soldaten auf dem Kriegsschauplatz weilt. Auf seine Schultern ist von Gott eine ungeheure Verantwortung gelegt, die er im Bewusstsein eines guten Gewissens auf sich genommen hat.“

Nach der Besetzung von Dänemark, Norwegen, Holland und Belgien sowie der Kapitulation Frankreichs im Jahr 1940 sei auch „Der Gärtner“ begeistert gewesen und habe mit dem deutschen Volk gejubelt: „Der Herr hat Grosses an uns getan. Ehre sei Gott in der Höhe!“ Nun wachse in den Ländern, welche die deutsche Wehrmacht in deutschen Schutz genommen habe, eine „neue, bessere Ordnung, die auf eine höhere Gerechtigkeit gegründet“ sei. Im Kriegsgeschehen dürfe man „die Fussspuren Gottes in der Geschichte erblicken“. Als die deutschen Truppen im April 1941 den Balkan überrannten und bis nach Griechenland vordrangen, hätte „Der Gärtner“ erneut gejubelt über den „Führer des Grossdeutschen Reiches, dem unsere Herzen in besonderer Verehrung und Liebe entgegenschlagen. Wir geloben ihm unwandelbare Treue und unverbrüchlichen Gehorsam.“

Doch am 25. Mai 1941 habe „Der Gärtner“, laut Hartmut Weyel, seinen Lesern mitteilen müssen, dass „die Kriegswirtschaft stärkste Anspannung aller Kräfte erfordert“ und deshalb „Der Gärtner“ und alle übrigen Blätter des Bundes-Verlags bis auf weiteres ihr Erscheinen einstellen müssten. Man bringe aber diese Opfer „in der Zuversicht, dass diese Zusammenfassung aller Kräfte unserm Volk den Sieg verbürgt“. „Der Gärtner“ kam erst im Juli 1947 wieder auf den Markt. An seine Stelle trat vom Sommer 1941 bis März 1945 das „Amtsblatt des Bundes Freier evangelischer Gemeinden e.V.“.

Obwohl im Dezember 1944 das Kriegsende und damit der Zusammenbruch des „Dritten Reichs“ bevorstanden, hätte der Schriftleiter des Amtsblattes dennoch beteuert, dass „die gläubige Gemeinde in ernster Fürbitte hinter unserem Volk und Führer“ stehe und Gott für alle Kraft danke, „die er unserer Führung und unserer Wehrmacht geschenkt hat, dass unsere kämpfenden Truppen an allen Fronten Wunder der Tapferkeit vollbringen“, berichtet Weyel.

„Busse ist das göttliche Gebot der Stunde“
Ein Jahr nach Kriegsende habe der Hamburger Diakoniedirektor und FeG-Gemeindeleiter Friedrich Heitmüller (1888-1965) eine „Klarstellung“ verfasst, in der er „mitten im Zusammenbruch unseres völkischen und nationalen Lebens“ die Frage stellte, „was Gott jetzt von uns erwartet?“. Seine Antwort lautet: „Busse! Busse ist das göttliche Gebot der Stunde.“ Heitmüllers Bussruf beziehe sich, so Weyel, vor allem auf die von ihm scharf kritisierte Haltung des FeG-Bundes und der Gemeinden in der politischen Situation des NS-Staates.

Zum Verhalten gegenüber Krieg und Kriegsdienst habe sich unter anderem der führende Gemeindeälteste aus Moers-Schwafheim, Heinrich Pannen (1897-1982), geäussert. Der ehemalige Kommandant eines Minensuchbootes betonte auf dem FeG-Brüdertag am 28. Mai 1948 in Lüdenscheid: „Jeder muss von seinem Gewissen her Stellung nehmen und entscheidend handeln. Wir haben zwei gewaltige Kriege erlebt. Mir ist klar, dass dieser letzte ein Werkzeug Satans war, auch die Waffen waren satanisch oder dämonisch. Dass wir nun mitgeholfen haben, ist unsere Schuld und Belastung. Wir müssen da Stellung nehmen, das ablehnen, unter Umständen auch den Waffendienst verweigern! Ich bin selbst Soldat gewesen und weiss, dass unsere Jugend beim Militär verdorben wird. Und wir sollen dazu schweigen? Für mich ist es klar, das kann ich nicht mehr tun!“

Die erste Freie evangelische Gemeinde entstand 1854 in Wuppertal. 20 Jahre später schlossen sich 22 Gemeinden zum Bund Freier evangelischer Gemeinden zusammen. Heute gehört der Bund zu den wenigen wachsenden Kirchen in Deutschland. Gegenwärtig zählt er 471 Gemeinden mit 40.323 Mitgliedern. Dazu kommen rund 15.500 „Freunde“ und 9.000 Kinder. Zum Bund gehören die Theologische Fachhochschule Ewersbach (Dietzhölztal), die Diakonischen Werke Bethanien (Solingen) und Elim (Hamburg), die Allianz-Mission (Dietzhölztal) und weitere soziale Initiativen. Die Bundeszentrale befindet sich in Witten an der Ruhr. Freie evangelische Gemeinden gibt es in über 20 Ländern. Mit ihren etwa 30 Mitgliedsbünden umfasst der Internationale Bund rund 450.000 Mitglieder.

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